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Inspektor Jury spielt Katz und Maus

Inspektor Jury spielt Katz und Maus

Titel: Inspektor Jury spielt Katz und Maus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martha Grimes
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erleichtert, daß Lord Lister ihn empfangen wollte.
     
    Daß Lord Lister die Peerswürde erst im fortgeschrittenen Alter verliehen worden war, merkte man weder an seinem Auftreten noch an seiner Haltung. Er war eher klein, dünn und drahtig, und obwohl über siebzig, strahlte er großes Selbstvertrauen aus. Durch die hohen Fenster hinter ihm schien die Sonne. Und wie alle mächtigen Männer wollte auch er den Eindruck erwecken, daß er ein einfacher Mann war.
    «Wie interessant, Superintendent. Hab keinen blassen Dunst, warum Sie hier sind, aber es ist mal eine Abwechslung. Tee?»
    Er wartete nicht auf Jurys Zustimmung. Lord Lister drückte auf einen Knopf neben dem marmornen Kaminsims.
    «Ja, bitte. Den kann ich wirklich gebrauchen.» Jury kam sofort zur Sache, weil er nicht glaubte, daß Lord Lister seine Zeit mit Geplauder vergeuden wollte. «Es ist wegen dieses Fotos, Sir.» Er nahm den verkrumpelten Abzug aus der Tasche und reichte ihn ihm. «Vielleicht keine Angelegenheit für die Polizei. Aber es interessiert mich ganz persönlich.»
    Lord Lister saß auf einem Seidenmoiresofa, nahm seine Brille und sagte: «Keine Angelegenheit für die Polizei.» Er lächelte über die Brille hinweg. «Und dennoch sind Sie hier, Superintendent.»
    «Wir führen auch außerhalb der Dienstzeiten ein Leben, Lord Lister.»
    Jury hatte den alten Mann ins Gespräch gezogen, als der noch nicht einmal das Foto richtig angeschaut hatte. Sein Ton war freundlich, aber er sagte: «Dann sollten Sie es aber nicht während der Dienstzeit tun.» Seine Mundwinkel zuckten.
    Jury war froh, daß er guter Stimmung war. Er wollte ihn nicht beunruhigen – trotz einer ganzen Schar von Bediensteten schien er hier sehr einsam und zurückgezogen zu leben. Schon gar nicht wollte Jury ihn mit dem Grund seines Besuches verstören.
    «Tut mir leid. Das Foto kenne ich nicht. Sollte ich?»
    «Nicht unbedingt. Ich hatte nur das Gegenteil gehofft.» Jury tat so, als wolle er das Foto sofort wieder an sich nehmen. Woraufhin Seine Lordschaft es natürlich eines genaueren Blickes würdigte.
    «Drehen Sie es um», sagte Jury.
    Lord Lister rückte seine Brille zurecht, als bekäme er dadurch einen klareren Kopf. «‹Amy Listen.›» Er mied Jurys Blick und schaute lange im Zimmer umher, betrachtete den Kaminsims und eine kleine Kollektion goldgerahmter Fotos. Dann fragte er Jury: «Sie haben Carolyn gefunden?»
    «Sir?» Jetzt konnte Jury nur den Naiven mimen.
    «Meine Enkelin Carolyn. Amy war Carolyns Hund. Das ist Carolyns Schäferhund. Und die Frau –» Er zuckte die Achseln. «Irgendeine Angestellte. Was wissen Sie von Carolyn?»
    «Ich glaube, gar nichts.»
    Lord Lister klopfte auf das Foto. «Wie sind Sie dann an das hier geraten?»
    Das liebenswürdige, steife Hausmädchen brachte den Tee. Sie schenkte ein und fragte Jury, wieviel Zucker er wünsche.
    «Ein Paar namens Brindle machte vor Jahren ein Picknick auf der Hampstead Heath und fand ein völlig verwirrtes kleines Mädchen in einem Wäldchen. Es hatte eine sehr schwere Kopfwunde. Das Kind wußte weder, woher es kam, noch, wer es überhaupt war. Es besaß nichts als eine kleine Tasche, in der sich ein paar Pence und dieses Foto befanden.»
    Lord Lister erschrak. «Wir haben angenommen, sie sei entführt worden. Wollen Sie sagen, daß jemand versucht hat, sie umzubringen?»
    «Ich weiß es nicht.»
    Lister sah sich das Foto noch einmal an. «Ich frage mich, warum der Täter das Foto nicht an sich genommen hat.»
    «Es war zwischen Futter und Leder gerutscht. Die Brindles haben es erst kürzlich gefunden.» Jury setzte seine Tasse ab. «Wann haben Sie Carolyn zum letztenmal gesehen?»
    Lord Lister faltete die Hände über dem Elfenbeinknauf seines Spazierstocks und stützte das Kinn darauf. «Als das Kindermädchen mit ihr in den Zoo im Regent’s Park gegangen ist.» Über seinen Stock hinweg blickte er Jury an. «Das Kindermädchen kam mit leeren Händen zurück.»
    Eine beinahe zynische Bemerkung zum Verschwinden des eigenen Enkelkindes.
    «Sie haben es Scotland Yard nicht gemeldet und es auch aus den Zeitungen herausgehalten. Wie –?» Als Lord Lister verkrampft lächelte, begriff Jury. Das «Wie» war für den alten Mann ganz einfach gewesen. Er war Aufsichtsratsvorsitzender einer Zeitung und hatte auf andere Einfluß.
    «Groschen gefallen, Superintendent? Wie, glauben Sie, habe ich die Peerswürde erhalten? Die Königin war offenbar der Meinung, ich hätte dem Land einige Dienste erwiesen,

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