Inspektor Jury spielt Katz und Maus
Sie schüttelte den Kopf, sie seufzte, sie drehte sich zu Jury um und sagte: «Mon oncle.»
Und dann nahm sie auf einem damastbespannten Podium Platz und zog ein Spitzentaschentuch aus ihrer kleinen Handtasche.
Mon oncle ging zu ihr, lächelte süßlich, tätschelte ihr die Schulter und sagte: «Was zum Teufel haben Sie vor?»
Sie waren zwar außer Hörweite – aber so, wie der junge Mann die frischgebackene Baronin Regina de la Notre anstarrte, hatte er vielleicht doch weitreichende Antennen.
Mit tränenfeuchten Augen lächelte Carole-anne Jury innig an und sagte: «Warum schlagen wir uns mit dem Scheiß-Georges Duprès rum? Wir haben doch den hier in der Hand.»
Sie erhob sich, drehte sich um, winkte ein trauriges Adieu und wandte sich zu Jurys Entsetzen zur Tür.
Wie vom Schlag getroffen, sprang der Direktionsassistent hinter dem Tresen hervor und griff sie am Arm. Dann ließ er die Hand sinken, als habe er womöglich einen Gast des Regency besudelt. «Wenn ich Ihnen in irgendeiner Weise behilflich sein kann, Madame?» Oh, der hoffnungsvolle Blick!
«Wie froindlisch von Ihnen», sagte die Baronin mit heiserer Stimme, murmelte dann: «… il fait du temps …» und schüttelte den Kopf, weil sie sich gewiß fragte, wie sie ihren geringen Vorrat an französischen Sätzen aufbrauchen konnte.
«Wie Sie wünschen, Madame.»
Aus einer plötzlichen Eingebung heraus schnippte sie mit den lederbehandschuhten Fingern und nahm das Foto von dem Zimmermädchen und dem Hund aus der Handtasche. Jury glaubte zwar nicht, daß der Assistent sich acht Jahre zurückerinnern konnte, aber was sollte es?
Der Mann konnte seinen Blick nicht einmal lange genug von Carole-anne abwenden, um das Foto anzuschauen. Dann sagte er, er bedaure außerordentlich, aber …
«Ah, iist die, wie sagen Sie, Livree von Regency. Uniform? Sie war Simmermädschen? Serviererin? Non? »
Carole-anne drehte das Foto schnell um. Amy Lister.
ZU Jurys Verblüffung fiel der Groschen. Tiefe Dankbarkeit und nicht Überraschung breitete sich auf dem Gesicht des Direktionsassistenten aus. Er erinnerte sich. Er gestattete sich sogar ein Kichern. «Natürlich. Die Listers.» Dann sah er drein wie ein begossener Pudel. Mit den Listers konnte er dienen, aber … «Das Zimmermädchen wollten Sie also nicht? Sie haben recht, das ist unsere Livree, aber das Mädchen habe ich nie gesehen. Nur den Hund, den Schäferhund. Der war immer bei den Listers. Daran erinnere ich mich.»
Carole-anne schüttelte ihren glänzenden Schopf und ermunterte ihn mit hübschen Blicken, immer weiter über die Listers zu plaudern. Er hörte auf zu plaudern, als er sah, daß sie resigniert die Hand an den Kopf legte – Um Himmels willen, wollte Jury rufen, er erzählt mir gerade, was ich wissen will. Was haben Sie vor –?
Wieder legte Carole-anne dem jungen Mann ihre glatte kleine Hand auf den Arm. «Ah, mon ami … »
Diesen dämlichen Satz ritt sie zu Tode. Er hätte ihr am liebsten auf die Zunge getreten. Statt dessen stand er da, ihr lächelnder oncle.
«… es iist där Baron Lister, den isch suche –»
So ein Mist! Die blöde kleine Zicke steckte so tief in ihrer Rolle, daß sie nicht mehr wußte, warum sie hier war.
Der junge Mann war verwirrt, traurig und unzufrieden mit sich selbst, weil er keinen Baron Lister herbeizaubern konnte. «Es tut mir ganz entsetzlich leid. Meines Wissens hat es nie einen Baron Lister gegeben. Handelt es sich unter Umständen um Lord Lister?»
Lord Lister. Adresse, Carole-anne.
Ein trauriges, flüchtiges Lächeln. Sie hob ihr herrliches Gesicht himmelwärts und sagte: «Si.»
Si? Oh, wunderbar.
Errötend korrigierte sie sich. « Oui. Isch, mon ami, raise soviel, isch värgässe manschmal, in welschem Land isch bien.» Dazu ein Flattern dichter Wimpern.
Jury sah die Gestade Spaniens vor sich. Das Meer. Und er schubste die Baronin Carole-anne einfach hinein. Innerlich lachte er über sich selbst. Er hätte Carole-anne gern mal im Bikini gesehen. Was zum Teufel tat sie jetzt?
Sie hatte dem Direktionsassistenten ein winziges Adreßbuch ausgehändigt. Er schrieb etwas hinein und sandte verstohlene Blicke in diese Edelsteine von Augen. Er schlug fast die Hacken zusammen, als er es zurückgab. «Ma’am!»
«Henri. Mon ami … »
Jury dachte, wenn der junge Mann sich jetzt nicht hinsetzte, würde er bei dieser atemberaubenden Abschiedszeremonie umkippen. Wie hatte sie seinen Namen rausgekriegt?
Da rede ich ja noch lieber mit Racer.
«…
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