Inspektor Jury spielt Katz und Maus
Sie es so aussprechen, meine Liebe, hält man Sie für eine Japanerin.»
Carole-anne kicherte. «Manchmal sind Sie wirklich zum Piepen.» Dann schaute sie majestätisch auf Jury herab (zum Glück trug sie die richtigen Schuhe) und sagte: «Er meint, ich kann in zehn Minuten lernen, wie ein Franzmann zu sprechen.»
«Im Moment verfranzen Sie sich eher, meine Liebe. Jedenfalls klingt es nicht französisch.»
Wieder kicherte Carole-anne. Sie waren schon längst ein Herz und eine Seele.
Mrs. Wasserman flötete: «Bonjour, Monsieur. Il y a longtemps, Georges.» Mit vor der Brust gefalteten Armen sah sie Carole-anne streng an. «Wiederholen Sie das bitte.»
Carole-anne hatte den Kaugummi geparkt. Sie wiederholte es.
«Noch einmal.»
Noch einmal.
« Il faut que je m’en aille. Wiederholen Sie.»
Es lief wie geschmiert.
«Noch mal. Dreimal.»
Dreimal.
Nach ein paar weiteren Sätzen und ein paar weiteren Wiederholungen war die Lektion beendet.
«Danke schön, Mrs. W.», rief Carole-anne, als der Riegel in der Souterrainwohnung wieder an seinen Platz schoß.
Jury hatte mit einer Stunde gerechnet. Mit der einen oder anderen Wendung. Es hatte nur fünfzehn Minuten gedauert.
Kein Wunder, daß Carole-anne Schauspielerin werden wollte.
24
J URY PARKTE DEN D IENSTWAGEN verkehrswidrig in der Nähe der U-Bahn-Station Charing Cross, und Carole-anne warnte ihn, er würde ein Knöllchen kriegen. Er gab ihr eine Visitenkarte.
«So was Beknacktes, eine Baronin? Wo haben Sie die Karte her? Das soll ich also sein?»
«Für die nächste Stunde. Dann wird die Kutsche wieder zum Kürbis.»
«Wahrhaftig eine Kutsche, Superintendent!»
Er half ihr aus dem Ford und war sich der Blicke der Männer sehr bewußt, als sie zwei Ecken weiter in ein Gäßchen einbogen. Und der Blicke der Frauen. Die Männer blieben wie erstarrt stehen. Einige trugen Melonen.
Carole-anne hätte mitten auf der Autobahn einen Bierlaster zum Halten gebracht. Dabei schien sie die Wirkung, die sie hervorrief, nicht einmal zu bemerken. Ihre Lippen bewegten sich. Sie übte offenbar die Nasallaute, die Mrs. Wasserman so leicht von den Lippen kamen.
Das Regency war ein unauffälliges, schmales Gebäude; eine schlichte Messingtafel war der einzige Hinweis, den natürlich nur die Auserwählten erschauen durften – C. S. Racer gehörte sicherlich nicht zu ihnen, aber es geschahen noch Zeichen und Wunder. Außerdem verkündete eine kleine blaue Plakette an der Wand, daß ein berühmter Schriftsteller in diesen Räumlichkeiten seinen Romanklassiker geschrieben hatte. (Eine Seite davon vielleicht, dachte Jury.)
Im marmornen Foyer befand sich ein Korbsessel, auf dem jetzt der Portier döste. Aber er stand sofort Gewehr bei Fuß, als die Tür hinter ihnen zuschwang.
Carole-anne flüsterte: «Ein verdammtes Leichenschauhaus, daran erinnert es mich.»
«Leise», sagte Jury und fragte sich, ob die Sache wohl klappen würde.
Dann schämte er sich fast, weil er Carole-annes Überzeugungskünste so unterschätzt hatte. Ihre Wirkung auf den jungen Mann mit den weißen Handschuhen hinter dem Empfangstresen (aus Rosenholz) unterschätzte er hingegen nicht. Auf ihr Bonjour, Monsieur und ihr Lächeln hin hielt er seinen Stift, mit dem er etwas in das Gästebuch eingetragen hatte, starr in die Luft.
«Ah, main Änglisch iist nischt, wissen Sie, pärfäkt.»
Ein winziges abschätziges Schulterzucken, und sie händigte ihm ihre Karte aus.
Er verbeugte sich so tief, daß sein Kopf fast den Tisch berührte. «Madame.» Schmachtend sah er ihr in die saphirblauen Augen. «Womit kann ich Ihnen dienen?»
Jury konnte sich zwischen die Palmwedel und die Marmorstatue zurückziehen. Falls sich Fragen ergaben, war er ihr Onkel.
« Mon ami , isch wünsche zu spräschen mit mainem alten, äh, Froind Georges Duprès. Är iist, wie sagen Sie, Mänäger?»
Der junge Mann – jung zumindest für den Spitzenposten als Direktionsassistent im Regency – wirkte ratlos. «Madame! Verzeihen Sie bitte, aber …» Dann sprudelte er einen Schwall französischer Sätze hervor, während Carole-anne ihr Dekolleté einladender über dem Empfangstresen arrangierte und traurig dreinblickte.
Was der Bursche da von sich gab, hörte Jury nicht, aber er befürchtete, daß jetzt alles vermasselt war – Nein. Carole-anne legte dem Direktionsassistenten in einer Geste des Verzeihens die Hand auf den Arm. Seinem Blick nach zu urteilen, war Jury sicher, daß Tränen in ihren Augen glitzerten.
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