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Inspektor Jury steht im Regen

Inspektor Jury steht im Regen

Titel: Inspektor Jury steht im Regen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martha Grimes
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sind. Natürlich habe ich sie nur einen Augenblick auf der Treppe gesehen.» Melrose stellte sein Weinglas ab, inspizierte seine Bombay-Ente und stocherte so hier und dort mit seiner Gabel. Einen Augenblick später sagte er: «Ist Ihnen das Porträt von Edwards Frau aufgefallen?»
    Jury nickte. «Mrs. Winslow sagte, sie behält es wegen Phoebe. Sie und die Ex-Frau hatten offensichtlich nichts füreinander übrig.» Jury zog eine halbe Wurst aus dem Teigmantel.
    Melrose beugte sich hinüber, um auf Jurys Teller zu sehen: «Ich verstehe nicht, warum Mrs. Warboys den Yorkshire-Pudding an den Wiener im Schlafrock verschwenden mußte.»
    «Es scheint Sie ja richtig mitzunehmen. Wie ist Ihre Bombay-Ente?»
    «Ist von Bombay zu Fuß gekommen. Wissen Sie, Roses Verschwinden ist sicherlich nichts, für das man sich begeistern könnte. Aber für diese Ente hier auch nicht.» Er hielt ein Stückchen in die Höhe.
    «Zurück zum Anruf. Wann hat sie die Dienstboten weggeschickt?»
    «Ich hab mir ausgerechnet, daß es am Mordtag gewesen sein muß.»
    «Aber sie konnte ja nicht wissen, daß ihr Bruder anrufen würde. Wegen eines nicht vorhersehbaren Anrufs hätte sie die Dienstboten kaum weggeschickt.»
    «Vielleicht hatte sie die Absicht, nach London zu fahren, ohne daß es jemand erfuhr. Natürlich hätte sie dann den Anrufbeantworter eingeschaltet. Mit Sicherheit wollte sie in dieser Nacht keinen Anruf verpassen. Natürlich nur, wenn sie nach London geflitzt ist. Und da sie das Gerät auch häufig benutzt, wenn sie sich in einem anderen Teil des Hauses aufhält oder ein Nickerchen macht, würde sich niemand wundern, wenn sie nicht ranginge. Klar?»
    «Da haben wir wieder das alte Problem, die Frage nach dem Motiv. Warum sollte sie Ivy Childess denn umbringen?»
    «Vielleicht, um einen der beiden zu schützen – David oder Edward. Das wäre vielleicht das einzige, das sie dazu bringen könnte, jemanden zu töten.»
    «Aber vor was denn beschützen?»
    Melrose seufzte. «Mit Ihnen macht es wirklich keinen Spaß.»
    «Aber das hier ist einer. Wie die Münze im Weihnachtskuchen.» Er spießte die zweite Hälfte der Wurst auf und hielt sie auf den Gabelzinken hoch. «Ihre Theorie gefällt mir ziemlich gut, bis auf eine Sache, die ziemlich offensichtlich ist.»
    «Ich hoffe, Sie sind nicht so tollkühn, derlei bei Divisional Commander Macalvie vorzubringen. ‹Offensichtlich›, was Sie nicht sagen!»
    «Nehmen Sie zum Beispiel die Beedles da drüben …»
    «Wen?» Melrose folgte Jurys Blick. Der Herr am Tisch auf der anderen Seite bezahlte gerade seine Rechnung. «Woher kennen Sie denn ihren Namen?»
    «Von Nathan Warboys. Haben Sie ihm denn nicht zugehört? Ich habe sie beobachtet und gesehen, wie lange sie schwiegen. Eine Ehe kann sehr entspannend sein, denke ich. Schließlich verlangt niemand von einem, daß man bei Tisch kluge Konversation macht …»
    «Warum heiraten Sie denn nicht?» Melrose holte sein Zigarettenetui hervor, nahm eine dünne, handgerollte Zigarre heraus und ließ das Etui wieder zuschnappen.
    «Ich spreche davon, wie es von außen betrachtet erscheint. Der Anschein kann oft stimmen. Man muß ihr Schweigen nicht als Ärger deuten oder sonst was außer dem Wunsch, sich nicht unterhalten zu müssen. Sheila Broome und der Lkw-Fahrer beispielsweise. Warum nicht annehmen, daß Sheila und der Fahrer sich ganz natürlich verhielten? Daß sie die typische Anhalterin war, die keine Lust hat, sich mit der Person, die sie mitnimmt, zu unterhalten? Und dann der Anruf, der tatsächlich gemacht wurde, von David, und entgegengenommen von Marion? Und die Dienstboten sind weg, um einen Krankenbesuch zu machen, weil an diesem Wochenende wirklich jemand krank geworden ist? Der Mörder könnte eine Frau gewesen sein, ja, natürlich, und es könnte auch Marion Winslow gewesen sein. Aber wie ich schon sagte, wir haben noch kein Motiv.»
    Melrose zog Edward Winslows Gedichte aus der Tasche und reichte sie Jury. «Er ist ziemlich gut. Sie meinen ja, daß diese zwei Morde eins gemeinsam haben: nämlich die Methode. Die Opfer wurden mit ihren eigenen Schals, die sie sich um den Hals geschlungen hatten, erdrosselt. Es erinnert mich an Porphyria.»
    «Porphyria?»
    «Brownings Porphyria: ‹… Da glitt herein Porphyria.› Ihr Liebhaber erdrosselte sie mit ihren Haaren.»
    «Das ist ja interessant. Die Porphyria-Morde. Das würde Macalvie gefallen. Für Wiederholungsdelikte ist er Experte.» Jury sah auf die Uhr. «Ich werde in Kürze

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