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Inspektor Jury steht im Regen

Inspektor Jury steht im Regen

Titel: Inspektor Jury steht im Regen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martha Grimes
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harmonierenden Sekretären und türkischen Teppichen.
    Als sie an seinem Sessel vorbeikam, griff er nach ihr und zog sie auf seinen Schoß, wobei er ein wenig Wein über die pfirsichfarbene Seide verschüttete, die ihre kleinen Brüste bedeckte. Er ließ die Hände über ihre Seiten wandern, von den eckigen Schultern bis zu den knochigen Hüften, während sie am Weinflecken rubbelte.
    «Der war nagelneu, Richard», sagte sie und zog ein Gesicht.
    «Ich kauf dir einen neuen.» Er vergrub das Gesicht an ihrem Hals …
    Es klopfte an der Wohnungstür.
    Er wußte, wer es war.
     
    «Oh, hoffentlich störe ich nicht …», sagte die Mieterin aus dem zweiten Stock. Carole-anne Nouveau trug ein feuerwehrrotes Kleid, über dessen Vorderseite jeder Mann mit Vergnügen ein Faß Wein verschüttet hätte. Am Hals war es rautenförmig ausgeschnitten, und der chinesisch wirkende Stehkragen wurde von irgendeinem glitzernden Modeschmuck zusammengehalten. Die Hautenge des Kleides machte echte Diamanten auch überflüssig. Er konnte es kaum fassen, aber sie trug tatsächlich eine Kasserolle in den Händen, die herrliche Düfte verbreitete. «Dein Lieblingsgericht.» Sie lächelte lieb.
    Er hatte zwar keine Ahnung, was sein Lieblingsgericht war, aber plötzlich verspürte er einen Wahnsinnshunger. Auf Alkohol, Essen, Sex. «Danke», sagte er mit unbewegtem Gesicht.
    «Und hier ist dieser Song …» Süßes Lächeln. Sie tänzelte zum Plattenspieler hinüber, stellte die Kasserolle ab und zog die Platte aus der Hülle. Sie drückte auf den Knopf, wandte sich an Jury und blinzelte ihm zu, falls man eine so schläfrige Bewegung der Wimper blinzeln nennen darf. «Kannst du dich erinnern … ach ja …»
    Mit einem langgezogenen Seufzer lauschte sie ein paar Takten. «Of all the girls I LOVED before …» Verträumt fixierte sie Jury so lange, daß es für den Countdown auf einer Raketenabschußrampe gereicht hätte. «Das ist Julio. Erinnerst du dich noch an Spanien?»
    Das einzige Spanien, das er je mit Carole-anne erlebt hatte, hatte zwanzig Minuten gedauert und war das Foyer des Regency Hotel gewesen. Er funkelte sie an, während Julio sich all der Mädchen erinnerte, die durch seine Tür gekommen und wieder gegangen waren.
    Carole-anne tat, als bemerkte sie Jurys finsteren Blick nicht, als sie Susan die Kasserolle an den aprikosenfarbenen Busen drückte und (mit völlig anderer Stimme) sagte: «Zehn Minuten auf dem Herd, meine Liebe. Tja.»
    Der Dampf, der aus der Kasserolle stieg, war nichts im Vergleich zu dem, den Susan Bredon-Hunt abließ.
     
     
     
    A M NÄCHSTEN M ORGEN VERSTAUTE Jury seine Sachen im Wagen und stieg die Stufen zur Wohnung im Tiefparterre hinab. Er war erstaunt, als er sah, daß die Tür einen Spaltbreit offen stand und die schweren Vorhänge zurückgezogen waren. Mrs. Wasserman besaß genügend Schlösser, um die Auslage eines Schlossers zu bestücken, und normalerweise brauchte sie fünf Minuten, um die Tür zu öffnen. Heute allerdings nicht. Seit Carole-anne vor einem Jahr die Wohnung im obersten Stock übernommen hatte, hatte Mrs. Wasserman die Zugbrücke ihrer Festung herunter- und auch ein wenig Licht hereingelassen.
    «Ich wollte nur kurz fragen, ob Sie gerne was aus Brighton hätten», sagte Jury, als sie aus der Küche kam. Sie trug eine Schürze über dem marineblauen Kleid. Das Haar hatte sie straff nach hinten gekämmt und zu einer Spirale verdreht, die einer gespannten Uhrfeder glich.
    «Ah! Mr. Jury, schön, daß Sie mal ein bißchen Urlaub machen. Warten Sie, ich hab was für Sie.»
    «Kein Urlaub, Mrs. Wasserman», rief er ihr nach. «Schön wär’s.»
    Während er wartete, sah er sich in der Wohnung um. Jetzt, wo die Sonne die Fensterscheiben wärmte und Lichtpunkte auf den kräftig gemusterten, noch aus Polen stammenden Teppich warf, sah es hier schon ganz anders aus als in dem finsteren Raum von damals mit vorgezogenen Gardinen und der Panzertür. Aber Jury verstand ihre Ängste. Mrs. Wasserman hatte ihr jetziges Alter von gut sechzig über diverse Fluchtrouten erreicht – Seitengassen, Tunnels, gesperrte Straßen, Stacheldrahtzäune. Das war in ihrer Jugend gewesen, in einer Zeit, die sie immer als den großen Krieg bezeichnete. Es war etwas, das sie trotz ihres Altersunterschieds gemeinsam hatten – den Verlust ihrer Familien.
    Sie kam herein und trug ein kleines, mit Bindfaden verschnürtes Paket. «Ich hab das für Ihre Reise gemacht. Sandwiches. Feinste Putenbrust und eines mit Käse

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