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Inspektor Jury steht im Regen

Inspektor Jury steht im Regen

Titel: Inspektor Jury steht im Regen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martha Grimes
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Auftauchen einer Leiche nach der anderen hatte etwas Nervöses und Hektisches an sich. Ihr Hirn, dachte er, ist ein Schlachthof.
     
    Das ganze Gemorde und Gemetzel wurde durch die Ankunft zweier weiterer Stammgäste unterbrochen. Er freute sich darüber, weil sie ihn davor bewahrten, sich weiter in den Tod Montagues zu vertiefen.
    «Hallo, Melrose», sagte Vivian Rivington, die Hübschere der beiden, auch wenn Melrose vergeblich darüber nachsann, ob Marshall Trueblood wohl auf einer Revision dieses Urteils bestanden hätte.
    «Hallo, alter Knabe», sagte Marshall Trueblood, der an diesem Nachmittag eher einem ziemlich gewöhnlichen als einem exzentrischen Millionär glich. Er trug ein dunkles und wunderschön geschneidertes Wolljackett, das wohl der Traum eines jeden Webers auf den Hebriden gewesen wäre. Allerdings hätte der Weber beim Anblick des Kaschmirpullovers in gewagtem Blau und des meergrünen Halstuchs, das in einem türkisfarbenen Crèpe-de-chine-Hemd steckte, wohl verblüfft die Augen aufgerissen. Für Trueblood war das jedoch ein geradezu dezenter Aufzug. «Gott sei Dank, wieder ein Tag voller Schweiß und Schufterei vorbei.»
    Marshall Trueblood konnte sich so manches leisten, nur keinen Schweiß. Es machte ihm Spaß, sein Antiquitätengeschäft, das sich in dem kleinen Tudorhaus nebenan befand und trotz der geringen Einwohnerzahl von Long Piddleton gut lief, ein wenig herunterzumachen. Es florierte, weil es Londoner Kundschaft inklusive einiger sehr kundiger Händler anzog. Hilfreich fürs Geschäft war auch die Gunst der beiden – noch Reicheren als Trueblood –, die mit ihm am Tisch saßen.
    «Es ist erst fünf», sagte Vivian Rivington mit melancholischer Miene. Da im Winter nur so wenig Leute hier lebten, blieb dem Trio nicht viel anderes übrig, als sich gegenseitig ihre Abweichungen von den üblichen Gewohnheiten vorzuhalten. «Du schließt doch eigentlich erst um sechs», sagte sie und schüttelte ihre Uhr.
    «Es kommt doch sowieso niemand. Ich habe ein Schild an die Tür gehängt. Falls jemand einen gepfändeten Sekretär sucht, soll er hier vorbeischauen. Was lesen Sie da, Melrose?» fragte er, als Scroggs die Gläser vor ihnen abstellte.
    Melrose Plant drehte den Einband nach oben, damit seine Freunde es selber sehen konnten.
    « Die Plumpudding-Gruppe. Komischer Titel. Prost.» Er hob sein Glas.
    Vivian schielte nach dem Namen des Autors. «Das ist doch wieder eins von dieser Polly?»
    «Leider kein besonders gutes. Aber sagen Sie es ihr bitte nicht.»
    «Wie denn, sie ist ja gar nicht da», sagte Vivian mit einem gewissen Anflug von Gereiztheit. «Ich verstehe einfach nicht, was Sie an der finden.»
    «Vorsicht, Vivian, Vorsicht. Über bestimmte Beziehungen sollten Sie sich besser nicht auslassen.»
    «Sie haben völlig recht, Melrose», sagte Trueblood. «Werden Sie auch diese Weihnachten wieder ohne den unglücklichen Franco aus Florenz verbringen?»
    «Venedig», sagte sie ein wenig gereizt.
    «Standen schlechte Nachrichten in Ihrem Brief?» Trueblood klopfte ein wenig Asche von der Spitze seiner schwarzen Sobranie und lächelte spitzbübisch.
    Vivians Augen wurden schmal. «Was meinen Sie mit ‹in meinem Brief›?»
    «Na ja, den, den Sie heute morgen bekommen haben müssen. Der noch in Ihrer Tasche steckt.»
    Die Hand, die sich in die Tasche ihrer Strickjacke verirrt hatte, wurde rasch zurückgezogen und zur Faust geballt auf den Tisch gelegt.
    «Mit Poststempel Venezia.»
    «Woher wissen Sie das denn?»
    «Bin ich vielleicht daran schuld, wenn Miss Quarrels die Post beim Sortieren wie eine Patience auf dem Schalter ausbreitet?»
    «Aber Sie haben sich die Mühe gemacht, den Umschlag verkehrt herum zu entziffern!»
    Er zog seine kleine goldene Nagelschere heraus. «Nein, ich habe ihn umgedreht.»
    «Schnüffler!»
    Auf ihr Stichwort hin erschien Lady Agatha Ardry im Eingang der Hammerschmiede. Sie fegte förmlich wie Schnee herein, schüttelte ihr Cape aus und stampfte mit den Schuhen auf. «Ich habe in Ihr Schaufenster gesehen, Mr. Trueblood», sagte sie zu Marshall Trueblood, noch ehe sie einen doppelten Sherry bei Dick Scroggs bestellte. «Es ist noch nicht sechs, Mr. Trueblood. Sie müßten noch geöffnet haben. Aber wenn einem die Kundschaft so wenig bedeutet … mein lieber Plant, als ich eben nach Ardry End jage …»
    Dreht ihre Runden wie der Terrier von Miss Crisp, dachte Melrose, schlug die nächste Seite um und fand Lady Dasher tot in den Hortensien …
    «… komm

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