Instrumentalität der Menschheit
wird aus meiner Pistole dringen, kein Strahl, kein Feuer, nichts. Absolut nichts. Aber dein Fleisch wird mir glauben, selbst wenn sich deine Gedanken weigern. Deine Knochenstruktur wird mir glauben, ob du es nun willst oder nicht. Ich stehe mit jeder einzelnen Zelle deines Körpers in Verbindung, mit allem, von dem ich fühle, daß es lebt. Wenn ich Kugel denke, dann werden sich deine Knochen für die imaginäre Wunde öffnen. Deine Haut wird sich teilen, dein Blut wird herausströmen, dein Gehirn wird auseinanderspritzen. Nicht durch physische Einwirkung, sondern durch meinen Willen. Durch meinen direkten Willen, du Narr. Es mag sich dabei vielleicht um keine wirkliche Gewalt handeln, aber es dient meinen Zwecken ebensogut. Verstehst du mich nun? Schau dir dein Handgelenk an.«
Talatashar wandte seine Augen nicht von dem Fremden. Mit einer absonderlichen, kalten Stimme sagte er: »Ich glaube dir. Ich nehme an, ich bin verrückt. Wirst du mich töten?«
»Ich weiß es nicht«, gestand der Fremde.
Trece fragte: »Bitte, bist du ein Mensch oder eine Maschine?«
»Ich weiß es nicht«, antwortete der Fremde auch ihm.
»Wie heißt du?« wollte Veesey wissen. »Hat man dir einen Namen gegeben, als man dich schuf und dich mit uns hinausschickte?«
»Mein Name«, erklärte der Fremde und verbeugte sich vor ihr, »lautet Sh’san.«
»Ich freue mich, dich kennenzulernen, Sh’san«, sagte Trece und streckte den Arm aus.
Sie schüttelten einander die Hände.
»Ich habe deine Hand gefühlt«, entfuhr es Trece. Verblüfft starrte er den anderen Mann an. »Ich habe seine Hand gefühlt, ich habe sie wirklich gefühlt. Was hast du die ganze Zeit dort draußen im Weltraum gemacht?«
Der Fremde lächelte. »Arbeit wartet auf mich. Es ist keine Zeit für Erklärungen.«
»Was verlangst du von uns«, warf Talatashar ein, »jetzt, da du übernommen hast?«
»Ich habe nicht übernommen«, entgegnete Sh’san, »und ihr werdet tun, was ihr zu tun habt. Ist das nicht die Art der Menschen?«
»Aber, bitte …«, begann Veesey.
Der Fremde war verschwunden, und die drei waren wieder allein in der Kabine des Raumschiffes. Treces Knebel und Fesseln waren inzwischen zu Boden gesunken, aber Talas Blut schwebte noch immer reglos neben ihm in der Luft.
Schwerfällig murmelte Talatashar: »Nun, das haben wir hinter uns. Glaubt ihr, daß ich verrückt war?«
»Verrückt?« wiederholte Veesey. »Ich kenne dieses Wort nicht.«
»Im Denken gestört«, erklärte ihr Trece. Er wandte sich an Talatashar und begann ernst auf ihn einzureden. »Ich glaube, daß …« Er wurde von dem Kontrollpult unterbrochen. Leises Klingeln ertönte, und eine Schriftplatte leuchtete auf. Sie alle sahen es. Besucher kommen, verriet die glimmende Platte.
Die Tür zum Lagerraum öffnete sich, und eine wunderschöne Frau kam zu ihnen in die Kabine. Sie sah sie an, als würde sie alle bereits kennen. Veesey und Trece waren neugierig und verwirrt, aber Talatashar wurde blaß, leichenblaß.
5
Veesey bemerkte, daß die Frau nach einer Mode gekleidet war, wie sie vor einer Generation geherrscht hatte – eine Mode, die man jetzt nur noch aus den Dramawürfeln kannte. Das Kleid besaß kein Rückenteil. Eine gewagte Tätowierung breitete sich fächerförmig über ihre Wirbelsäule aus. Vorn war das Kleid wie gewöhnlich an den Magnetösen befestigt, die in das Fettgewebe der Brust eingelassen waren, aber bei ihr befanden sich die Ösen über dem Schlüsselbein, so daß das Kleid hochgeschürzt war und einen Hauch altmodischer Prüderie verbreitete. Magnetösen waren ebenfalls an der üblichen Stelle knapp unterhalb des Brustkastens angebracht und stützten das Leibchen, das weite Falten warf. Die Frau trug eine Halskette und ein dazu passendes Armband, die aus Korallen von den Außenwelten gefertigt worden waren. Die Frau warf Veesey nicht einmal einen Blick zu. Sie näherte sich geradewegs Talatashar und sprach ihn mit entschiedener Zuneigung an.
»Tal, sei ein guter Junge. Du bist böse gewesen.«
»Mama«, keuchte Talatashar. »Mama, du bist tot!«
»Streite nicht mit mir«, schnappte sie. »Sei ein guter Junge. Kümmere dich um das kleine Mädchen. Wo ist das kleine Mädchen?« Sie sah sich um und entdeckte Veesey. »Dieses kleine Mädchen da«, fuhr sie fort. »Sei ein guter Junge zu diesem kleinen Mädchen. Wenn du es nicht tust, dann wirst du deiner Mutter das Herz brechen, dann wirst du deiner Mutter das Leben zerstören und deiner Mutter das
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