Interview mit einem Buchpiraten
impliziert hat - dem "Verkehrsschutz", also dem freien Handel an sich.
Ein weiterer Punkt, der aus juristischer Sicht wichtig ist, liegt in der rechtlichen Einordnung der Veräußerung im Onlinebereich. Nach dem EuGH fällt ein Angebot, dem Nutzer eine unkörperliche Kopie zur dauerhaften Nutzung zu überlassen, unter das Verbreitungsrecht, nicht unter das "Recht der öffentlichen Zugänglichmachung". Aus Sicht des Juristen ist dies eine überraschende Entscheidung, bislang war man immer von Letzterem ausgegangen. Der Unterschied ist für die Anwendung des Erschöpfungsgrundsatzes von grundlegender Bedeutung, weil er sich nur auf das Verbreitungsrecht bezieht, nicht auf das Onlinerecht.
Ein weiterer wichtiger Punkt bei Gebrauchtsoftware ist, woher der Zweiterwerber das Recht bekommt, die Software dann auch zu verwenden. Noch der Generalanwalt Yves Bot, der die EuGH-Entscheidung in dem Usedsoft-Verfahren vorbereitet hatte, wollte hier aus dem Grundsatzurteil einen Papiertiger machen. Vereinfacht ausgedrückt war dessen Beurteilung, dass man die Kopie zwar weiterverkaufen, der Erwerber sie aber nicht nutzen darf. Denn für die Nutzung von Dateien muss man Vervielfältigungen machen (bei Software: Installation auf dem Rechner, Kopien im Arbeitsspeicher usw.), diese Vervielfältigungen seien aber vom Erschöpfungsgrundsatz nicht abgedeckt. Der EuGH sieht das anders: Er entschied, dass der Erwerber gar kein Vervielfältigungsrecht vom Rechteinhaber braucht. Die Software einfach ablaufen zu lassen, ist eine "bestimmungsgemäße Benutzung", die jeder rechtmäßige Nutzer schon nach dem Gesetz vornehmen darf.
Das bedeutet, dass der Zweiterwerber gar keine Lizenz vom Anbieter benötigt, um das Programm zu verwenden. Entsprechend muss er den Rechteinhaber auch nicht fragen, ob er das gebraucht gekaufte Programm dann auch einsetzen darf. Die einzig konsequente Lösung, die übrigens von der Rechtsliteratur auch seit langer Zeit so vertreten wird.
Keine Aufspaltung von Volumenlizenzen
Eine Besonderheit des Usedsoft-Falls betrifft die Frage, ob sogenannte Volumenlizenzen in Teilen weiterverkauft werden dürfen. Der EuGH hat das verneint. Für Gebrauchtsoftware-Anbieter ist das ein wichtiger Punkt. Unternehmen erwerben durch einen Lizenzvertrag häufig nicht einzelne Nutzungsrechte, sondern ganze Pakete (zum Beispiel hundertmal Microsoft Office). Der EuGH sagt, dass es nicht zulässig ist, diese Pakete in kleineren Teilen weiterzuverkaufen, sie müssen also "am Stück" veräußert werden. Gerade im Gebrauchtsoftware-Handel ist diese Aufspaltung aber ein wichtiger Aspekt, sie gibt Händlern und Kunden größere Flexibilität und eröffnet damit einen potenziell größeren Markt.
Unmittelbar legen die Richter des EuGH im Urteil nur die EU-Richtlinie über den Rechtsschutz von Computerprogrammen (2009/24/EG) aus. Für Computerprogramme gelten im Urheberrecht in vielen Fällen andere Regelungen als für andere Werkarten wie Musik, Filme oder Bücher. Auch im EU-Recht ist das so. Während Software durch die genannte Richtlinie geregelt wird, gelten für andere Werkarten andere Richtlinien, wie zum Beispiel die sogenannte Informationsgesellschaft-Richtlinie (2001/29/EG).
Allerdings enthalten auch die Richtlinien über anderen Werkarten den Erschöpfungsgrundsatz. Der EuGH sagt zwar nicht konkret, dass die aufgestellten Grundsätze unmittelbar auch für die Auslegung der Richtlinien gelten, die sich auf diese anderen Inhalte beziehen. Er sagt aber ausdrücklich: "Zwar müssen die in den Richtlinien 2001/29 und 2009/24 verwendeten Begriffe grundsätzlich dieselbe Bedeutung haben" und sagt damit im Grundsatz, dass es nicht angehen kann, das Erschöpfungsprinzip bei Musik, Filmen etc. anders auszulegen als bei Software. Es dürfte Gerichten daher schwerfallen, zu argumentieren, dass solche Dateien entgegen den Wertungen des EuGH nicht weiterverkauft werden dürfen. Da die Auslegung des EuGH in allen Mitgliedstaaten verbindlich ist, ist die Grundlage sowohl für gestärkte Verbraucherrechte als auch für die Entstehung ganz neuer Märkte gelegt: Plattformen wie Redigi.com (Recycled Digital Media) könnten hiernach auch in Europa operieren und Konsumenten die Möglichkeit eröffnen, ihre digitalen Musikstücke, Filme etc. weiterzuverkaufen.
Das EuGH-Urteil könnte in seinen Auswirkungen schließlich dem entsprechen, was ich bereits in der Studie "Verbraucherschutz im Urheberrecht" (PDF) aus dem Jahr 2011 vorgeschlagen habe:
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