Invasion der Götter
Boden, und alles begann vor ihren Augen zu verschwimmen. Dann hörte sie eine Stimme ...
»Iris! Iris!! Du blutest, Iris! Ich weiß nicht, was ich tun soll. Bitte! Was soll ich tun?«, vernahm sie den verzweifelten Jamie. Sie öffnete ihre Augen. Sie fühlte sich, als ob sie sich in einem Eisschrank befand. Nur schemenhaft nahm sie ihre Umgebung war, als sich langsam das Bild zu verdeutlichen begann. Tylers Junge hatte es irgendwie geschafft, sie auf den Rücken zu drehen, kniete nun über ihr und sah sie hilflos an. Iris lächelte. Sie war glücklich zu sehen, dass es dem Jungen allem Anschein nach gut ging.
»Du bist okay?«
»Ja, bin ich, aber ...«, entgegnete der Junge.
»Was ist mit Kimi?«, unterbrach sie ihn.
»Kimi ist in einem kleinen Büro hinten im Laden ... Aber du bist nicht okay! Du blutest!!«
Iris folgte Jamies Blick, der auf ihren Oberkörper starrte. Sie richtete sich ein wenig auf, wobei sie bereits einen stark ziehenden Schmerz an ihrer rechten Taille verspürte, dann sah sie den gewaltigen Blutfleck auf ihrer Bluse. Das bloße Wissen über die Existenz der Wunde ließ den Schmerz in ihr geradezu explodieren.
»Suche ein Handtuch oder etwas Ähnliches, was ich auf die Wunde pressen kann«, sagte sie mit schmerzverzerrtem Gesichtsausdruck. Sogleich sprang der Junge auf und lief davon, um schon kurze Zeit später mit einem blütenweißen Frotteehandtuch zurückzukehren.
»Hier, bitte schön«, sagte Jamie und überreichte Iris stolz seinen Fund.
»Danke! Du bist ein guter Junge«, erwiderte sie und drückte sich das Handtuch auf die Wunde.
»Du kannst nicht zufällig lesen? Ich brauch Schmerzmittel und etwas Entzündungsvorbeugendes.«
Jamie sah die Linguistin mit großen Augen an, als ob er sich fragte, ob sie nun einen Scherz machte oder dies von ihr ernst gemeint war. Es war sehr außergewöhnlich für einen Fünfjährigen, doch Jamie konnte in der Tat lesen und schreiben. Schon als ganz kleiner Junge hatte er es geliebt, vor dem Schlafengehen noch eine Geschichte zu hören. Da der Sehsinn seiner Großmutter über die letzten Jahre immer schlechter wurde, begann sie den Jungen bereits im Alter von drei Jahren zu unterrichten, damit er alsbald selbst lesen könne. Innerhalb kürzester Zeit war er dazu in der Lage, einfache Wörter zu lesen – und ein Jahr später konnte er mit seiner Granny sogar schon gemeinsam Kreuzworträtsel lösen. Auch wenn die alte Dame die Antworten meist vorsagte, so war Jamie es, der die Felder ausfüllte.
»Klar kann ich lesen. Was brauchst du denn?«
Iris sah den Jungen überrascht an, da sie mit dieser Antwort nicht gerechnet hatte.
»Paracetamol und Penicillin«, sagte sie verunsichert.
»Ich denke, ich weiß, wie man das schreibt. Ich bin gleich wieder zurück.«
Jamie hatte das Regal gerade gefunden, als er plötzlich das Öffnen und Schließen der Ladentür vernahm. Vorsichtig und leise bewegte er sich in Richtung Eingang und linste durch ein nur halbgefülltes Regal hindurch. Er erblickte einen großen, sehr kräftigen Mann, der ein Gewehr in seinen Händen hielt. Sein Gesicht konnte er nicht erkennen, dafür war der Betrachtungswinkel zu ungünstig, jedoch ließ der Haaransatz am Hals vermuten, dass es sich um einen Vollbartträger handelte.
Das musste der Schütze sein, dachte sich Jamie. Der Mann, der auf sie geschossen und der Iris verletzt hatte. Und er war auf der Suche nach ihnen, um zu vollenden, was er angefangen hatte.
Jamie musste Iris warnen. Auf einmal ertönte ihre verbissene Stimme aus der Ferne: »Jamie, wo bleibst du? Die Schmerzen werden immer schlimmer!«
Der Mann blieb ruckartig stehen und lauschte, um sich zu orientieren, in welche Richtung er gehen musste. Dann setzte er mit großen und nicht mehr ganz so leisen Schritten seinen Weg fort. Die schweren Stiefel verursachten ein dumpfes Geräusch auf dem weiß gekachelten Boden. Der Junge hoffte, dass Iris dies hörte und sich rechtzeitig in Sicherheit brachte.
Doch dem war nicht so. Iris war viel zu sehr mit ihren Schmerzen beschäftigt, als dass sie das durchdringende Schrittgeräusch bemerkte oder gar als potenzielle Gefahr erkannte. Mit gesenktem Kopf saß sie da, nur noch dämmerhaft war ihr Bewusstsein, als sie ein Klacken hörte. Benommen blickte sie auf, und ihre Augen ließen sie nur eine große dunkle Silhouette erkennen. Ihr war sofort klar, dass es sich dabei kaum um Jamie handeln konnte.
»Wer sind Sie, und was wollen Sie von mir?«, fragte sie
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