Invasion der Götter
reagieren würdest. Nämlich genau so, wie du es jetzt tust.«
Iris konnte nicht glauben, was sie zu hören bekam.
»Weißt du was? Fliege einfach – fliege! Ich warte dann auf die Nachricht, dass du von Rebellen als Geisel genommen wurdest, oder, noch schlimmer, ich höre gar nichts mehr von dir, weil du irgendwo verbuddelt wurdest. Weiß Mortymer von deinem selbstmörderischen Unternehmen?«
»Sicher!«, entgegnete er selbstbewusst. »Morty wird mich begleiten, denn der glaubt an mich!«
Dieser Satz brachte für Iris das Fass zum Überlaufen.
»Ich werde jetzt schlafen gehen, denn ich fliege morgen früh nach Berlin. Ich wollte, dass dies ein schöner Abend wird, an den wir uns in den nächsten Wochen der Trennung erinnern können, aber das war wohl nichts. Gute Nacht!!«
Ein Türknallen, und Iris war im Schlafzimmer verschwunden.
Jonathan saß vollkommen verdutzt im Wohnzimmer und konnte noch nicht recht fassen, was eben geschehen war. Wie konnte dies nur derart aus dem Ruder laufen? In seinem Kopf ließ er noch einmal alles Revue passieren.
»Wenn du jetzt sauer auf mich bist, weil ich dir dies drei Monate lang verschwiegen habe, dann tut mir das leid«, rief er ihr nach.
Iris öffnete die Schlafzimmertür mit einem noch immer grimmigen Gesichtsausdruck und warf ihm seine Bettdecke und das Kopfkissen zu.
»Du hast gar nichts verstanden – du schläfst heute Nacht auf der Couch«, sagte sie und schlug, ohne seine Reaktion abzuwarten, erneut die Zimmertür laut krachend ins Schloss.
Er hatte gehofft, nochmals mit ihr reden zu können, um nicht im Streit für so lange Zeit auseinanderzugehen. Doch als er am nächsten Morgen erwachte, war sie bereits abgereist.
Südöstlich von Al-Khidr
Uruk/Irak
[54 Stunden, 25 Minuten]
Etwa eine Woche suchten sie nun schon nach dem verborgenen Raum, jedoch ohne Erfolg. Jonathan zweifelte inzwischen daran, dass die Überlieferung wirklich den Tatsachen entsprach. Er dachte missmutig an Iris und dass sie am Ende gar recht behalten könnte. Womöglich war Murad Al Redir einfach nur ein armer Irrer gewesen, der sich diese Geschichte zusammengesponnen hatte. Das wäre schließlich nicht das erste Mal, dass jemand im Laufe der Menschheitsgeschichte Märchen in die Welt gesetzt hatte, um ein wenig Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen.
Jonathan befand sich im Zelt von Professor Mortymer Hall, das sich unmittelbar neben seinem befand, und sie sprachen über den derzeitigen Stand der bislang einwöchigen Exkursion, die bis zu diesem Zeitpunkt alles andere als von Erfolg gekrönt war.
Mortymer Hall war bereits als junger Student fasziniert von alten Kulturen gewesen – angefangen bei den Hopi über die Azteken bis hin zu den Maya. Doch die älteste aller Hochkulturen waren die Sumerer, und keine andere Kultur war derart geheimnisumwittert wie diese. Bis heute war nur sehr wenig bekannt über sie. Zum einen, weil sie sehr wenig hinterlassen hatten, und zum anderen, weil die geborgenen Schrifttafeln unter Verschluss gebracht worden waren. Nur die wenigsten Wissenschaftler hatten die Ehre, eine von ihnen zu Gesicht zu bekommen. Viele vermuteten, dass die Wahrheit die moderne Welt ins Chaos stürzen würde.
Morty, wie ihn Freunde nannten, war ein wahrer Mann der Wissenschaft. Ihm ging es nie um Ruhm oder Ansehen – immer stand nur die Forschung in seinem Leben im Vordergrund.
Als Mortymer Jonathan zum ersten Mal in seinem Hörsaal der Yale-Universität gesehen hatte, war er sich sicher, dass dieser Junge es irgendwann zu etwas bringen würde. Es entwickelte sich eine Art Freundschaft zwischen den beiden, und Morty war es auch zu verdanken, dass Jonathan der Magie der sumerischen Kultur erlag. Als der junge Doktor dem erfahrenen Professor von der Exkursion nach Uruk erzählte, war noch im selben Augenblick klar, dass er ihn begleiten würde.
»Ich hatte keine Ahnung, dass du die komplette Weltgeschichte mit dir herumschleppst«, sagte Jonathan und sah sich etwas schockiert um. Im Zelt des Professors standen zahllose Bücher zu Türmen gestapelt.
Morty blickte von der Karte der Ruinenstadt Uruk auf, die er gerade studierte, und sah sich ebenfalls kurz um, als ob er sich über seinen eigenen Reichtum an Schriften erst in diesem Augenblick bewusst wurde.
»Nicht ganz. Das ist nur ein Bruchteil von dem, was ich besitze. Handgepäck sozusagen«, entgegnete er mit einem Hauch von Ironie. »Handgepäck? Das sind rund hundert Bücher und dazu noch alle Bände einer
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