Irisches Tagebuch
dunkelrote Tropfen auf dem Hals der Schönen sichtbar werden: Oh, muß denn dieser süße Hals durchbohrt werden? Er wird nicht endgültig durchbohrt, nur keine Bange, schnell dem schreienden Kind ein Stück Schokolade in den Mund geschoben: da schmelzen Schmerz und Schokolade im Dunkeln dahin. Am Ende des Films hat man jenes Gefühl, das man seit der Kindheit nicht mehr kannte: als habe man zuviel Schokolade gegessen, zuviel Süßigkeiten genascht: oh, dieses schmerzlich kostbare Sodbrennen zu intensiv genossener Verbotenheit! Nach soviel Süße eine pfeffrige Voranzeige: Schwarzweiß, Spielhölle — harte magere Weiber, häßliche, kühne Helden, wieder die unvermeidlichen Pistolenschüsse, wieder Schokolade in den Mund der Dreijährigen geschoben. Ein großzügig gestaltetes Programm: drei Stunden dauert es, und, auch hier, als die rötlichen Muscheln wieder zu leuchten beginnen, die Türen geöffnet werden: auf den Gesichtern, was nach jedem Kinoschluß auf den Gesichtern zu sehen ist: eine leichte, durch Lächeln übermalte Verlegenheit: man schämt sich ein wenig des Gefühls, das man, ohne es zu wollen, investiert hat. Die Modeheft-Schönheit steigt in ihren Straßenkreuzer, riesige blutrote Rücklichter, glimmend wie Torfstücke, entfernen sich zum Hotel hin — der Torfstecher trottet müde auf seine Kate zu; schweigende Erwachsene, während die Kinder zwitschernd, lachend, weit in die Nacht verstreut sich entfernend, sich den Inhalt des Films noch einmal erzählen.
Mitternacht ist vorüber, längst leuchtet das Leuchtfeuer von Clare Island herüber, die blauen Silhouetten der Berge sind tiefschwarz, einzelne, gelbe Lichter ferne im Moor: dort wartet die Oma, die Mutter, der Mann oder die Frau, um erzählt zu bekommen, was sie an einem der nächsten Tage sehen wird, und bis zwei, bis drei Uhr morgens wird man noch am Kaminfeuer sitzen, denn — als Gott die Zeit machte, hat er genug davon gemacht.
Esel schreien in der warmen Sommernacht, geben ihren abstrakten Gesang weiter, dieses verrückte Geräusch wie von schlecht geölten Türangeln, von rostigen Pumpen — unverständliche Signale, großartig und zu abstrakt, um glaubhaft zu wirken, unendlichen Schmerz drücken sie aus und doch Gelassenheit. Radfahrer rauschen wie Fledermäuse auf unbeleuchteten Drahteseln vorüber, bis endlich nur noch der ruhige, friedliche Trott der Fußgänger die Nacht erfüllt.
9 Betrachtungen über den irischen Regen
Der Regen ist hier absolut, großartig und erschreckend. Diesen Regen schlechtes Wetter zu nennen, ist so unangemessen, wie es unangemessen ist, den brennenden Sonnenschein schönes Wetter zu nennen. Man kann diesen Regen schlechtes Wetter nennen, aber er ist es nicht. Er ist einfach Wetter, und Wetter ist Unwetter. Nachdrücklich erinnert er daran, daß sein Element das Wasser ist, fallendes Wasser. Und Wasser ist hart. Im Krieg war ich einmal Zeuge, wie ein brennendes Flugzeug an der Atlantikküste niederging; der Pilot setzte es auf den Strand, flüchtete sich aus der Nähe der explodierenden Maschine. Später fragte ich ihn, warum er das brennende Flugzeug nicht ins Wasser gesetzt habe, und er gab mir zur Antwort:
»Weil Wasser härter ist als Sand .«
Ich habe ihm nie geglaubt, hier aber begriff ich es: Wasser ist hart.
Und wieviel Wasser sammelt sich über viertausend Kilometern Ozean, Wasser, das sich freut, endlich Menschen, endlich Häuser, endlich festes Land erreicht zu haben, nachdem es so lange nur ins Wasser, nur in sich selbst fiel. Kann es dem Regen schließlich Spaß machen, nur immer ins Wasser zu fallen?
Wenn das elektrische Licht ausgeht, wenn die erste Zunge einer Pfütze zur Tür hereinschlängelt, lautlos und glatt, glitzernd im Schein des Kaminfeuers; wenn das Spielzeug, das die Kinder natürlich haben liegenlassen, wenn Korken und Holzstücke plötzlich zu schwimmen beginnen und von der Zunge nach vorne getragen werden, wenn dann die Kinder erschrocken die Treppe herunterkommen, sich vors Kaminfeuer hocken (mehr erstaunt als erschrocken, denn auch sie spüren, mit welcher Lust sich Wind und Regen treffen, daß dieses Geheul Freudengeheul ist), dann weiß man, daß man der Arche nicht so würdig gewesen wäre, wie Noah ihrer würdig war...
Binnenländertorheit, die Tür zu öffnen, um zu sehen, was draußen los sei. Alles ist los: die Dachpfannen, die Dachrinne, nicht einmal das Mauerwerk ist sehr vertrauenerweckend (denn hier baut man provisorisch, wohnt aber dann, wenn man nicht
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