Irisches Tagebuch
sie ihn — und er sagte höflich:
»Darf ich Sie bitten, gnädige Frau, diese zehn Schilling als Bezahlung für sechs Tropfen Essig als angemessen zu betrachten ?«
Schweigen in der Dunkelheit hinter King John’s Castle , dann der Blutbefleckte plötzlich mit leiserer Stimme:
»Darf ich Sie außerdem darauf aufmerksam machen, daß es Zeit ist für die Abendandacht? Richten Sie bitte dem Pfarrer meine respektvollen Grüße aus .«
Er schwankte weiter, erschrocken lief der Junge davon, und die Wirtin war allein. Plötzlich rannen ihr Tränen übers Gesicht, und sie lief schreiend ins Haus zurück, ihre Schreie waren noch zu hören, als die Tür hinter ihr schon geschlossen war.
Noch hatte der Ozean das wohltätige Wasser nicht steigen lassen, nackt und schmutzig waren die Mauern noch, und die Möwen nicht weiß genug. King John’s Castle hob sich düster aus der Dunkelheit, eine Sehenswürdigkeit, in die Mietskasernen aus den zwanziger Jahren hineinragten, und die Mietskasernen aus dem zwanzigsten Jahrhundert sahen verfallener aus als King John’s Castle aus dem dreizehnten; das trübe Licht aus schwachen Glühbirnen kam nicht gegen den massiven Schatten der Burg an, saure Dunkelheit überflutete alles.
Zehn Schilling für sechs Tropfen Essig! Wer Poesie, anstatt sie zu machen, lebt, der zahlt zehntausend Prozent Zinsen. Wo war er, der dunkle, blutbefleckte Betrunkene, dessen Kordel zwar für die Jacke, nicht mehr aber für die Schuhe gereicht hatte? Hatte er sich in den Shannon gestürzt, in den gurgelnden grauen Engpaß zwischen den beiden Brücken, den die Möwen als kostenlose Rutschbahn benutzten? Im Dunkeln noch kreisten sie, senkten sich auf die graue Flut, von Brücke bis Brücke, flogen auf, um das Spiel zu wiederholen; endlos; unersättlich.
Gesang strömte aus Kirchen, Vorbeterstimmen, Taxis brachten Gäste vom Shannon-Airport an, grüne Omnibusse schaukelten durch die graue Dunkelheit, schwarzes, bitteres Bier floß hinter verhangenen Kneipenfenstern. Purpurwolke muß gewinnen.
Purpurn leuchtete das große Herz Jesu in der Kirche, in der die Abendandacht schon vorüber war; Kerzen brannten, Nachzügler beteten, Weihrauch und Kerzenhitze, Stille, in der nur die schlurfenden Schritte des Küsters zu hören waren, der Vorhänge vor Beichtstühlen zurechtzog , Opferstöcke leerte. Purpurn leuchtete das Herz Jesu.
Wie hoch ist der Fahrpreis für diese fünfzig, sechzig, siebzig Jahre vom Dock, das Geburt heißt, bis zu der Stelle im Ozean, wo der Schiffbruch erfolgt?
Saubere Parks, saubere Denkmäler, schwarze, strenge, korrekte Straßen; hier irgendwo wurde Lola Montez geboren. Trümmer aus der Zeit des Aufstandes, noch nicht zu Ruinen geworden, vernagelte Häuser, hinter deren schwarzen Brettern die Ratten rumorten, aufgeknackte Magazine, deren Abbruch man der Zeit überläßt , grüngrauer Schlamm an entblößten Mauern, und das schwarze Bier fließt aufs Wohl von Purpurwolke, die nicht siegen wird. Straßen, Straßen, für Augenblicke von denen überschwemmt, die aus der Abendandacht kommen, Straßen, in denen die Häuser immer kleiner zu werden scheinen; Gefängnismauern, Klostermauern, Kirchenmauern, Kasernenmauern; ein Leutnant, der vom Dienst kommt, stellt sein Fahrrad vor die Tür seines winzigen Häuschens und stolpert an der Schwelle über seine Kinder.
Weihrauch wieder, Kerzenhitze, Stille, Beter, die sich nicht vom purpurnen Herzen Jesu trennen können, leise vom Küster gemahnt werden, doch nach Hause zu gehen. Kopfschütteln. »Aber — «, viel geflüsterte Argumente des Küsters. Kopfschütteln. Festgeklebt auf der Kniebank. Wer will die Gebete zählen, wer die Flüche, und wer hat den Geigerzähler, der die Hoffnungen registrieren würde, die an diesem Abend sich auf Purpurwolke konzentrieren? Vier schlanke Pferdefesseln, auf ihnen ruht eine Hypothek, die niemand wird einlösen können. Und wenn Purpurwolke nicht siegt, muß der
Kummer mit ebensoviel dunklem Bier ausgelöscht werden, wie nötig war, um die Hoffnung zu nähren. Murmeln knallen noch immer gegen die ausgetretenen Stufen der Kneipe, gegen die ausgetretenen Stufen von Kirchen und Wettbüros.
Spät erst entdeckte ich die letzte unschuldige Milchflasche, die noch so jungfräulich war wie der Morgen; sie stand in der Tür eines winzigen Häuschens, dessen Läden verschlossen waren. Nebenan in der Tür eine ältliche Frau, grauhaarig, schlampig, weiß war nur die Zigarette in ihrem Gesicht. Ich blieb stehen.
»Wo ist
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