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Irrfahrt und Heimkehr des Odysseus

Irrfahrt und Heimkehr des Odysseus

Titel: Irrfahrt und Heimkehr des Odysseus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Fuehmann
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einem heiligen Eid, er wisse aus eigenem Au gen schein, dass Odysseus Schätze sammelnd auf Scheria bei den Phaiaken weile und nach Hause zurückkehren werde, noch ehe der Mond sich wieder zur Gänze gerundet habe. Allein Penelopes Hoffnung war zu oft betrogen worden, und so schenkte sie dem Fremden keinen Glauben mehr. Sie erhob sich und rief ihre Mägde, dem Gast ein prächtiges Bett zu bereiten und ihm ehrerbietig die Füße zu waschen, wie es der Brauch war; am Morgen dann sollten sie ihn salben und baden und mit den besten Gewändern bekleiden, damit er, so sei es ihr Wille, in Ehren an Telemachs Seite zu Tische sitzen könne, auch wenn dies die Freier noch so sehr verdrießen mochte.
    »Edle Frau«, erwiderte Odysseus, »ich bin es nicht gewohnt, auf weichem Lager zu ruhen; lasst mich nur auf der Schwelle liegen, so schlafe ich besser als auf Pelzen und wollenem Tuch. Auch möchte ich nicht, dass junge Mägde mir Altem die Füße waschen; wirkt aber eine Schaffnerin im Haus,die so alt ist wie ich und gleich viel Kummer im Leben erduldet hat, so will ich es gerne von ihrer Hand leiden!«
    Da ließ Penelope die alte Amme Eurykleia rufen, die einst Odysseus gesäugt und gewiegt und großgezogen hatte. Die Fürstin befahl ihr, die Wanne zu rüsten und dem Fremden die Füße zu waschen; Odysseus aber erschrak, als er seine alte Amme erblickte, denn es kam ihm die Wundnarbe unterm Knie in den Sinn, die ihm, da er ein Jüngling gewesen, ein wütender Eber einst auf der Jagd gerissen hatte und an der ihn die Amme unfehlbar erkennen musste. Doch es war zu spät, sich zu weigern; die Alte mischte schon kaltes mit kochendem Wasser; Odysseus rückte ins Dunkel und dachte mit seinem Gewand die Narbe zu decken, doch da hatte die Amme die Lumpen schon hochgestreift, und als sie die fingerbreite, fast kreisrunde Narbe berührte, erkannte sie ihren Herrn. Sie schrie laut auf und ließ den angehobenen Fuß fahren und stammelte: »Mein Kind, mein Kind, mein Odysseus!« und erhob sich, das heimgekehrte Pflegesöhnlein zu umarmen, und dabei stieß sie die Wanne um. Odysseus erschrak; es lag nicht in seinem Plan, sich so früh zu offenbaren; allein Athene verschloss in diesem Augenblick die Augen und Ohren Penelopes, so dass sie nichts von all dem Wirrwarr gewahrte und ruhig am Feuer sitzen blieb. Odysseus zog die Amme zu sich und gebot ihr flüsternd zu schweigen; er sei, so sagte er, mit dem Beistand Athenes gekommen, die ruchlosen Freier zu züchtigen, und er werde sogar seine geliebte Amme töten müssen, wenn sie schwatzend seinen Plan verderbe, jedoch die Amme verschloss ihm den Mund und gelobte, stumm wie ein Fels zu sein. Zum Beweis ihrer Verlässlichkeit hob sie an zu enthüllen, welche von den Mägden ihrem Herrn treu geblieben und welche Verräterinnen geworden waren, aber Odysseus hieß sie schweigen und sprach, er werde die Treue der Mägde und Knechte selbst überprüfen. Die Amme eilte, das Wasser zu erneuern, Penelope aber wandte sich an den Fremden und bat ihn, ihr einen Traum zu deuten, den sie gestern geträumt, während die Amme seine Füße wasche. Zwanzig Gänse seien, so habe sie im Schlaf gesehn, ihr Eigen gewesen, was in der Tat auch zutreffe, und sie hätten sich im Hof getummelt und Hafer, vermischt mit Wasser, gefressen, da sei plötzlich ein krummgeschnäbelter riesiger Adler vomHimmel heruntergefahren und habe alle die Gänse getötet und sich wieder in die heiligen Lüfte geschwungen, und da habe sie im Traum so bitterlich geklagt und gejammert, dass alles Volk zusammengelaufen sei, um sie zu trösten. Da aber, so erzählte Penelope weiter, das Volk sich tröstend und begütigend um sie geschart habe, sei der Adler vom Himmel wieder auf die Erde gekommen und habe sich auf den Zaun gesetzt und mit menschlicher Stimme zu ihr gesprochen, der Traum sei gar kein Traum, sondern bedeute die Zukunft: Odysseus werde kommen, dem Adler gleich, und sich auf die Freier, die Gänse, stürzen und sie ohne Erbarmen niedermachen. Dann sei, so endete sie ihren Bericht, der Adler wieder davongeflogen, und da sei sie erwacht und hinausgeeilt und habe die Gänse heil auf dem Hofe sich tummeln gesehen.
    »Dies ist auch kein Traum, edle Königin, dies ist die Wahrheit!«, erwiderte Odysseus, da die Amme seine Beine trocknete und heimlich seine Narbe unterm Knie drückte, doch Penelope schüttelte traurig den Kopf.
    »Es gibt auch dunkle und unerklärbare Träume«, erwiderte sie, »und nicht alle verkünden dem Schläfer

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