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Irrfahrt und Heimkehr des Odysseus

Irrfahrt und Heimkehr des Odysseus

Titel: Irrfahrt und Heimkehr des Odysseus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Fuehmann
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gewiss, dass ihr Gemahl zurückgekommen sei. Jedoch sie wollte – und sie tat dies aus Treue – den letzten quälenden Zweifel beheben, und so sagte sie denn zur Amme, die neben ihr stand: »Geh, gute Alte, und lass unser Bett aus dem Schlafgemach tragen; wir wollen es mit hinaus aufs Landgut nehmen, dort wird Mangel an guter Lagerstatt sein!«
    Dies sprach sie, um den, der vorgab, ihr Gemahl zu sein, noch einmal zu prüfen, doch Odysseus erkannte dies nicht und sprach im Zorn: »Wie könnte jemals unser Bettdas Schlafgemach verlassen? Selbst der erfahrenste Mann nicht, nur ein Himmlischer, könnte es von der Stelle rücken! In unserm Gehege wuchs einst ein mächtiger Ölbaum; um seinen Stamm als Mitte baute ich den Palast und zog Säule um Säule und schichtete Steine, das Schlaf gemach von den anderen Räumen zu sondern, und die Decke wölbte ich, dass sie die Krone überdache. Dann kappte ich die Äste und den Wipfel, behaute und glättete den Stamm von der Wurzel aufwärts, höhlte ihn, schnitzte ihm Füße und fasste seine Ränder mit schimmerndem Erz ein, schmückte die duftenden Masern mit Elfenbein, Silber und Gold, schließlich bohrte ich rings unter dem Oberrand Löcher, zog purpurgefärbte Riemen hindurch und polsterte dieses schwebende Netz mit den feinsten Pelzen und Tüchern zu unserer Liegestatt aus. Das ist das Bett, das ich kenne; doch ich weiß ja nicht, ob nicht einer der Freier dein Gemach entehrt und den Stamm abgehauen hat!«
    Da zitterten der Fürstin Herz und Knie, als Odysseus die Zeichen richtig wiedergab, denn das Geheimnis des Lagers war nur den beiden bekannt. Sie stürzte zu ihrem Gemahl und schloss ihn in ihre weißen Arme und küsste Hals und Antlitz des Heimgekehrten und bat um Verzeihung, dass sie ihn so lange schweigend gemustert und geprüft; es sei aus Treue geschehen, so sprach sie, und Odysseus verstand sie wohl. Es war ihm wie einem Schiffbrüchigen zumute, der nach wochenlangem Treiben durchs stürmische Meer endlich Festland betritt, und er nahm sei ne Gemahlin auf die Arme wie die See ein Boot aufnimmt und trug sie hinüber in das Gemach, wo das Bett im Stamm des gekappten Ölbaums hing.

Odysseus bei Laertes
    Am nächsten Morgen rüsteten Odysseus, Telemach und die beiden getreuen Hirten zur Reise aufs Landgut des alten Laertes; der Fürstin aber hatte Odysseus aufgetragen, sich im Söller einzuschließen und dort auszuharren, was auch geschehen möge. Athene senkte einen Nebel über die Wandernden, so dass sie un erkannt die Stadt durchqueren konnten, und neben ihnen schritt heulend und sausend wie der Wind ein andrer unsichtbarer Zug, das waren die Seelen der Freier, die Hermes ins Totenreich führte.
    Odysseus traf den Vater im Obstgarten an. Der Greis hatte eine Schaufel zur Hand genommen und lockerte die Erde um ein Nussbäumchen. Er trug einen lehmver schmier ten, geflickten Rock aus grobem Leinen, seine Beine waren bis zu den Hüften mit rohen Fellen umhüllt, damit ihn die Dornhecken nicht ritzten; der Disteln wegen trug er Lumpen um die Hände, und seinen Scheitel deckte eine verschlissene Kappe aus Ziegenfell.
    Als Odysseus den Vater erblickte, trat er zu ihm und sprach: »Alter, es fehlt dir, man sieht es, nicht an Verstand und Kunst, den Garten zu bestellen; wohlgereiht stehen die Reben, und prächtig gedeihen Oliven, Feigen und Birnen; jede Blume im Garten zeugt von sorgfältiger Pflege – du aber, Alterchen, läufst so abgerissen und schmuddlig umher, wie kommt das? Kümmert sich denn dein Herr nicht um solche Dinge? Aber nein, du kannst ja kein Knecht sein, du bist edel von Gestalt und an Würde einem König gleich! Umso weniger verstehe ich deine Lässigkeit, mein Lieber!«
    »Ach Söhnchen, Söhnchen«, erwiderte Laertes und stütz te sich auf die Schaufel, »es sind zu lang schon schlechte Zeiten im Lande; vor zwanzig Jahren ist mein einziger Sohn gegen Troja gezogen, und mein Auge wird ihn wohl nie mehr erblicken, denn er ist seit diesem Tag nicht zurückgekehrt. Doch nicht genug dieses Leids: Eine wüste Rotte ist in den Palast eingedrungen und wirbt um die Hand der Fürstin und vergeudet das Gut und verheert das Land – wie sollte ich, Söhnchen, da auf mich achten? Aber wer bist du, wie kommst du hierher, bringst du mir etwa Nachricht vom Tod meines Kindes?«
    Bei diesen Worten stürzten Tränen aus seinen Augen; er bückte sich und nahm eine Handvoll Staub und streute sie, wie es Brauch der Trauernden ist, auf seinen Scheitel und klagte und

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