Tokio Killer 06 - Letzte Vergeltung
1
JIM HILGER UND SEIN Team saßen in einem Billighotel in Kuta, an Balis berühmter Westküste, und studierten eine Reihe Überwachungsfotos. Der Monsunregen vom Spätnachmittag hatte aufgehört, und unter einem jetzt klaren Nachthimmel lärmten am Strand noch immer Touristen – Australier, die sich am letzten Urlaubsabend betranken, bevor es zurück nach Hause in die Tretmühle ging; amerikanische Studenten, die ein wenig abenteuerlustiger waren als ihre Kommilitonen in der heimischen Touristenhochburg Fort Lauderdale und die sich nach Kuta hatten locken lassen, weil sie Geschichten von billigen Unterkünften und Stranddiscos und gleichgesinnten jungen Leuten auf der Suche nach erotischen Vergnügungen gehört hatten; dunkelhäutige balinesische Schönheiten in Bikinitops und Sarongs, die es auf reiche weiße Freunde oder wenigstens eine Nacht oder auch nur eine Stunde für ein anständiges Trinkgeld in einer gängigen Währung abgesehen hatten.
Tatsächlich war das Hotel eine beliebte Anlaufstelle für Touristen, die in der Nähe eine Einheimische aufgegabelt hatten und das Geschäft möglichst schnell über die Bühne bringen wollten. All das machte eine Absteige wie diese zu einem sicheren Unterschlupf, nicht nur hier in Indonesien, sondern auch in vielen anderen Ländern, in denen Hilger operierte. Sex bot eine gute Tarnung für konspirative Treffen, Fleischeslust tarnte Mordpläne.
Aus Sicherheitsgründen waren die fünf am früheren Abend nacheinander eingetroffen, zeitversetzt, und um nicht aufzufallen, jeder in Begleitung einer attraktiven Balinesin. Hilger wusste auch, dass zwei der Männer früh genug da gewesen waren, um die Tarnung, die ihnen ihre Freundinnen auf Zeit boten, in vollem Umfang auszukosten. Doch das störte ihn nicht. Er hatte im Krieg genügend Männer kommandiert, er wusste um ihre Bedürfnisse. Und außerdem war es ihm nur recht, dass sie sich die heimische Fauna frühzeitig zu Gemüte führten, statt sich spät in der Nacht auf die Pirsch zu machen. Der Mann, auf den sie es abgesehen hatten, war gefährlich, und Hilger wollte, dass alle hellwach waren.
Hilger kannte den Mann als Dox, angeblich die Kurzform für »unorthodox«, ein Deckname, den der Mann sich in seiner Zeit als Soldat in Afghanistan während der Reagan-Ära eingehandelt hatte. Dox war einmal Scharfschütze bei den Marines gewesen, arbeitete aber inzwischen auf eigene Rechnung. Hilger hatte ihn dreimal engagiert. Die ersten beiden Male hatte Dox hervorragende Arbeit geleistet. Das dritte Mal war ein Desaster gewesen und der Grund für die anstehende Operation.
»Seht euch das an«, sagte der Mann, der Hilger gegenübersaß, und zeigte auf ein Foto, das mit einem 500-mm-Teleobjektiv aufgenommen worden war. »Wir haben ihn beobachtet, wie er seine Villa verlässt und wieder nach Hause kommt. Sie liegt schön abgeschieden. Ich finde, wir sollten ihn da überrumpeln.«
Hilger nickte. Der Vorschlag des Mannes war vernünftig. Er hieß Demeere – ein kräftiger, blonder Belgier und Veteran des Détachement d’Agents de Sécurité seines Landes. Die Jungs vom DAS waren für die Sicherheit in den belgischen Botschaften zuständig. Sie wurden von belgischen Spezialkräften ausgebildet, fühlten sich in städtischem Umfeld wie zu Hause und waren in der Regel mehrsprachig. Demeere war einer ihrer Spitzenmänner gewesen. Er beherrschte eine besonders extreme Tai-Chi-Form ebenso gut wie den Messerkampf und hatte Hilger im Laufe der Jahre erfolgreich bei vier »Überstellungen« von Terrorverdächtigen assistiert. Daher wusste Hilger seinen Rat zu schätzen.
»Ich bin für die Villa«, sagte der Mann hinter Demeere. »Halten wir uns an das, was wir kennen, das ist meine Devise.«
Hilger hatte einige Mühe, keine Miene zu verziehen. Demeere, der dem Sprecher den Rücken zuwandte, ließ seinen Gesichtszügen mehr Freiraum.
Hilger blickte auf und betrachtete den Sprecher einen Augenblick. Er stand etwas abseits von den Übrigen an die Wand neben dem Fenster gelehnt, während die anderen einander gegenüber auf den beiden Einzelbetten saßen. Niemand reagierte auf seine Bemerkung. Selbst der Hinweis auf deren Banalität wäre mehr Aufwand gewesen, als einer von ihnen bereit war ihm zuzubilligen.
Der Mann wollte Drano genannt werden, was Hilger von Anfang an missfallen hatte. Spitznamen, die einem von Kameraden verliehen wurden, sind eine Ehre. Wenn du dir selbst einen ausdenkst, ist das ein Witz, ein Zeichen von Narzissmus und
Weitere Kostenlose Bücher