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Isau, Ralf

Isau, Ralf

Titel: Isau, Ralf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerry
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schmachten.
    Karl betrat die Wohnung. Er lief einen langen Flur entlang, von dem links und rechts Türen abgingen. Seine Nerven waren zum Zerreißen gespannt. Obwohl sein Verstand ihm sagte, dass er nichts mehr zu befürchten hatte, rechnete er trotzdem jeden Moment mit einem Angriff des Hünen. Doch der Hinterhalt blieb aus.
    Schließlich fand Karl das Zimmer mit dem schwarzen Fenster. Irgendwie wurde für ihn erst jetzt alles zur Wirklichkeit. Dies war kein Teil Phantásiens, sondern die Äußere Welt, obwohl er diese Wohnung beim ersten Mal durch die Wissende Druse betreten hatte. Und durch den blinden Spiegel.
    Plötzlich wusste Karl, warum er hierher gekommen war. Er stieß die Tür zur Rumpelkammer auf. Alles war so, wie er es verlassen hatte. Mit einer kleinen Ausnahme: Dort wo die Kartons voller Kuverts gestanden hatten, lag nun eine dünne Staubschicht auf dem Boden. An einer Wand standen noch ein paar zurückgelassene Kisten mit frankierten Umschlägen. Direkt gegenüber der Tür lehnte der Spiegelrahmen. Karl tastete seinen Mantel ab. In der Brusttasche des Jacketts fand er seine »Legitimation«. Die Meerschaumpfeife.
    Er nahm sich einen der Umschläge. Der Empfänger wohnte in Argentinien. Ob er für seine schwarze Perle eine Anzahlung geleistet hatte? Er würde seine Ware nie erhalten. Karl hielt eine Ecke des Umschlages in die schwelende Glut der Pfeife. Schnell fing das Kuvert Feuer. Er ließ es vor dem blinden Spiegel fallen. Dann entnahm er dem Karton einen Stapel weiterer Umschläge und legte sie zu dem brennenden hinzu. Bald loderten am Spiegel muntere Flammen.
    Als Gmorks viertes und vorletztes Tor nach Phantásien lichterloh brannte, verließ Karl die Wohnung.
    ·
    Die Polizei war nie dahinter gekommen, wer den Brand in dem baufälligen Haus gelegt hatte. Bald wurden die Ermittlungen eingestellt, weil es ja ohnehin abgerissen werden sollte. Von Gmork hatte Karl Konrad Koreander nie wieder etwas gesehen und lange nichts mehr gehört. Vielleicht ist irgendjemand immer noch auf der Suche nach dem Lux, den der Buchhändler sehr gut versteckt hatte. Mit Herrn Trutz dagegen stand Karl noch lange in Briefkontakt. Und von Qutopía wurde ja bereits gesprochen.
    Seine erste Reise nach Phantásien hatte ihn stärker verwandelt als alle nachfolgenden. Sein Leben lang behielt er das Hinken am linken Fuß – vielleicht war es der Preis, den das Haus der Erwartungen ihm für die Erkenntnis seines wahren Ichs abverlangt hatte. Der unangenehmen Begegnung mit dem Wechselbalg verdankte er zudem einen gewissen Argwohn gegen Kinder, die er gelegentlich ohne rechte Handhabe als Quälgeister aus seinem Laden zu vertreiben suchte. Manchmal betrachtete er sie auch misstrauisch durch ein Monokel, das er immer in der Tasche trug. Aber wer den Grund für seine Vorsicht kennt, der mag ihm diese Marotte nachsehen, zumal er, wenn erst die Harmlosigkeit des Kindes erwiesen war, ein sehr einfühlsamer Gesprächspartner sein konnte.
    Die sonstigen Veränderungen waren überwiegend positiver Natur, einige wenige überdauerten allerdings nur in seiner Vorstellungskraft. Zu dieser Kategorie der unerfüllten Erwartungen gehörte nebenbei bemerkt auch das dichte Haupthaar, aus dem stattdessen bald eine sehr lichte Frisur wurde. Trotzdem hielt das Spiegelbild aus der Wabe insofern, was es versprochen hatte, als Karl sich an seinem wenig vorteilhaften Äußeren später nicht mehr besonders störte. Er konnte darüber sogar scherzen. Und wenn er Phantásien besuchte, dann waren die Haare ja ohnehin wieder da.
    Jahrzehnte später machte er eines Morgens eine Entdeckung, die ihn nicht sonderlich überraschte. Am Vorabend hatte er wieder einmal versucht, in der Unendlichen Geschichte zu lesen, natürlich vergeblich. Bevor er nun in den Laden hinabging, betrachtete er sein Spiegelbild in der Tür des Schlafzimmerschranks und sah plötzlich einen alten Bekannten. Da stand ein im Leben gereifter Mann: nicht eben leichtgewichtig, mit dicken Fingern, einem roten Bulldoggengesicht, einer Nase, die wie eine Kartoffel aussah, und albernen weißen Haarbüscheln über den Ohren, die er hemmungslos wuchern ließ, weil sie sein letztes Bollwerk gegen den Vormarsch der Glatze darstellten. Die kleine goldene Brille trug er immer noch. In der Rechten hielt er ein Buch mit kupferfarbenem Einband und zwischen den Zähnen eine gebogene Meerschaumpfeife. Karl winkte, wie er es seinerzeit in der Spiegelwabe getan hatte, und der Pfeifenraucher in dem

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