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Isch geh Schulhof: Erfahrung

Isch geh Schulhof: Erfahrung

Titel: Isch geh Schulhof: Erfahrung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Möller
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sprachlichen Kompetenzen sind ohnehin bei vielen eine Katastrophe. Und kaum einer meiner neuen Schüler kann sich länger als zwei Minuten auf eine Aufgabe konzentrieren. Sie lenken sich gegenseitig ab, fluchen, beschimpfen sich und mich, springen über Tische und Bänke, sobald man nicht hinsieht, und einige der Kids wirken regelrecht verwahrlost.
    Erschöpft verlasse ich den Klassenraum und stoße fast mit einer dunkelblonden Frau mittleren Alters zusammen: meine Kollegin aus der Nachbarklasse. Sie reicht mir die Hand und stellt sich mir als Chrissi vor.
    »Na, wie war dein erster Einsatz?«, fragt sie mich, als ein Horde brüllender Schüler an uns vorbeirennt. Schwere Glastüren fliegen scheppernd auf, ein kleiner Junge stürzt und kommt nur schwer wieder auf die Beine. Ein wenig erinnert mich das Ganze an die Filialeröffnung eines gigantischen Elektronikmarkts am Berliner Alexanderplatz – nur dass hier noch mehr Schimpfworte fallen.
    »Ist das hier immer so?«, frage ich, als die Kinder an uns vorbei sind und man sein eigenes Wort wieder versteht.
    »Ja«, sagt sie und zuckt mit den Schultern. »Nach den Ferien ist es allerdings noch schlimmer als sonst.«
    »Versteh ich nicht … Die Kids müssten doch erholt sein.«
    »Nicht wirklich«, meint Chrissi, und erzählt mir dann, was ihre Schüler in der vergangenen Unterrichtsstunde über ihr schönstes Ferienerlebnis berichtet haben. Zwei von ihnen waren verreist, alle anderen haben die gesamte Zeit in Berlin verbracht. Ein Mädchen hat erzählt, dass sie mit ihrem erwachsenen Bruder im Tierheim war, wo er sich einen Kampfhund ausgesucht hat. Als dieser dann aber zu Hause ihre kleine Schwester biss, mussten sie das Tier wieder zurückbringen. Auf die Frage, wie seine Ferien gewesen seien, behauptete ein anderer Junge, gar nichts gemacht zu haben. Nach einer Weile fiel ihm das Highlight dann doch wieder ein.
    »Sch’ab mit meine Kuseng Mäckdonnilz gegeht«, imitiert Chrissi den Jungen. »Ist das nicht traurig? Was wir hier mühsam mit den Händen aufbauen, stoßen viele Eltern zu Hause mit dem Hintern wieder um. Ich muss meine Schüler jetzt erst mal wieder auf Schule einstellen. Und wie war dein erster Einsatz?«
    Ich berichte ihr, was ich in der Mathestunde erlebt habe. Als ich die größten Schoten losgeworden bin, lächelt Chrissi mich aufmunternd und ein wenig mitleidig an.
    »Keine Panik«, sagt sie, »daran gewöhnst du dich. Das, was du heute erlebt hast, ist der ganz normale Praxisschock.«

3
Geierchen

    I m Lehrerzimmer lasse ich mich erschöpft auf einen der moosgrünen Stühle fallen, die vermutlich älter sind als ich. Wenn mich schon die ersten beiden Stunden so fertiggemacht haben, frag ich mich, wie ich bloß den Rest der Woche überstehen soll?
    Mir gegenüber entdecke ich einen Kollegen, den ich aus meiner Assistenzzeit bereits kenne. Er ist klein und weitestgehend durchtrainiert, gute fünfzig, hat eine stramme Wampe, schulterlange blonde Haare und strahlend blaue Augen. An einer Goldkette hängt eine 2,99-Euro-Brille von Woolworth in Rosa. Ich lächele ihn etwas unsicher an und ernte ein fettes Grinsen seinerseits.
    »Guten Morgen«, sage ich.
    »Jut? Wat soll denn daran jut sein? Jeden Tach die gleiche Scheiße hier … Dit wirste noch früh jenug merken! Rauchste?«
    Meine Antwort wartet er nicht ab, sondern schiebt seinen Stuhl beiseite und stiefelt breitbeinig um den Tisch herum.
    »Na los, wir jehn eene quarzen, bevor dit Elend hier weiterjeht. Ick bin Rolf, och Herr Geier jenannt. Tach.«
    Er zermalmt mir zur Begrüßung die Hand. Dann geht er zu seiner Jacke, die am Haken neben der Tür hängt, zieht sie sich über und greift in die Innentasche, aus der er ein Päckchen Zigaretten mit der Aufschrift Palenie powoduje Raka holt.
    »Ick koof die Dinger immer in Polen, weeßte?«, erklärt er mir. »Bin doch nich blöde und schmeiß dem Scheißstaat mein Jeld in Rachen. Diese Arschlöcher. Quatschen, dit könnse, die Politiker, aber ’ne ordentliche Schulpolitik kannste verjessen!«
    Gut, dass ich als Berliner mit seinem Slang vertraut bin, denn so schnell, wie er spricht, hätte ich als Unkundiger vermutlich echte Schwierigkeiten, ihn zu verstehen. Geier öffnet die Tür, und so habe ich kaum eine andere Wahl, als ihm zu folgen. Auf einem Schleichweg führt er mich nach draußen zu einem kleinen Platz hinter dem Schulgebäude. Dort angekommen, steckt er sich eine Zigarette an und inhaliert tief.
    »Du warst doch der Kopierjunge vom

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