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Isch geh Schulhof: Erfahrung

Isch geh Schulhof: Erfahrung

Titel: Isch geh Schulhof: Erfahrung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Möller
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wird wohl noch ein paar Jahre dauern, bis die Mädels verstehen, dass für einen solchen Look auch die richtige Figur vorhanden sein sollte. Nesrin und Bü ş ra sind pummelig, Gülem dagegen stark übergewichtig. Die drei sitzen zusammen im hinteren Teil der Klasse und sind wahrscheinlich BFF – Best friends forever .
    »Herr Möller«, fängt Nesrin an, während die anderen beiden hinter vorgehaltener Hand kichern. »Hamm Sie ein Freundin?«
    Bü ş rsa und Gülem platzen fast vor Lachen und beginnen miteinander zu tuscheln.
    »Ja, habe ich. Wieso?«
    Jetzt können sich die beiden anderen nicht mehr am Riemen reißen und lachen lauthals los.
    »Was ist deine Freundin?«, fragt Nesrin weiter.
    »Was meinst du damit?«, entgegne ich irritiert. »Sie ist eine Frau.«
    Nesrin schüttelt energisch den Kopf. »Nein, isch meine: Welsche Sprache ist sie?«
    Dass die Verständigung mit einem Kind in ihrem Alter so schwer werden könnte, hätte ich nicht erwartet. Ihr holpriges Deutsch bereitet mir ernsthafte Probleme. Mit dem Tempo einer Wegbeschreibung für Touristen erkläre ich ihr, dass meine Freundin aus Deutschland stammt und sogar Deutsch spricht.
    »Und wo kommt ihr drei her?«, möchte ich von ihnen wissen.
    »Wir sind Türkei«, unterbricht Bü ş ra plötzlich ihren Lachanfall und schaut mich stolz an.
    Auf die Frage, wo sie denn geboren seien, sagt Gülem: »Ja, okay, Dings, Deutschland – aber wir sind trotzdem Türkei!«
    Dabei legt sie ihre dicke Hand aufs Herz.
    Ich versichere den Mädels, dass ich meine Freundin lieben würde – egal, wo ihre Familie ursprünglich herkäme. Den irritierten bis ablehnenden Blicken der drei Grazien entnehme ich jedoch, dass in ihren Familien vermutlich andere Regeln gelten.
    Auf meiner Heimfahrt mit der U-Bahn überkommt mich schlagartig eine bleierne Müdigkeit. Um kurz vor zwei erreiche ich mit einem Bärenhunger meine WG , bin aber so müde, dass die Nahrungsaufnahme warten muss. Ich kann gerade noch die Wohnungstür hinter mir schließen und meine Tasche in die Ecke pfeffern, dann lasse ich mich auf mein Bett fallen und schlafe augenblicklich ein.
    Als ich wach werde, setzt draußen bereits die Dämmerung ein. Auf dem Sessel in meinem Zimmer sitzt meine Freundin Sarah. Sie hat sich die Leselampe angemacht und schmökert in einem Roman. Eine dunkelblonde Strähne hat sich aus ihrem Zopf gelöst und fällt ihr ins Gesicht. Immer wieder, auch nach all der gemeinsamen Zeit, erfreue ich mich an ihrem Anblick. Wir leben beide in Berlin, allerdings nicht in einer gemeinsamen Wohnung. Gerade warten wir darauf, dass Sarah einen Studienplatz zugewiesen bekommt. Sie möchte Grundschullehrerin werden – eine Wahl, die ich spätestens seit heute eindeutig mit gemischten Gefühlen betrachte.
    »Na, wie war dein erster Tag in meinem zukünftigen Job?«, fragt sie, als sie bemerkt, dass ich wach bin, und streicht sich die widerspenstige Haarsträhne aus dem Gesicht.
    »Es war …« Ich suche nach dem richtigen Begriff, während ich mich strecke. »… interessant. Trinken wir ’n Kaffee? Ich muss erst mal wieder wach werden.«
    Wir gehen in die Küche, wo ich die Mokkakanne vorbereite und ihr währenddessen von der Katastrophenstunde in der 4e, den übermüdeten und überdrehten Schülern, den Isch-bin-Türkei-Mädels und Herrn Geier erzähle, über dessen schroffe Art wir uns gemeinsam amüsieren. Spontan verleihen wir ihm den Spitznamen Geierchen.
    »Vielleicht sollte ich mir das mit dem Lehramtsstudium doch noch mal überlegen«, meint Sarah auf einmal nachdenklich.
    »Was ich da heute erlebt habe, muss ja nicht überall so sein«, sage ich und gebe ihr einen Kuss. »Ist bestimmt ein echt toller Job – aber eben nur an der richtigen Schule.«
    Nach mehr als drei Jahren Beziehung mit Sarah kann ich mit großer Sicherheit sagen, dass sie gut in diesen Beruf passt. Obwohl sie eher zierlich ist, kann sie sich verdammt gut durchsetzen. Außerdem mangelt es ihr nicht an Einfühlungsvermögen. Und nach dem heutigen Tag kann ich mit Sicherheit sagen: Ohne das geht’s nicht.
    Am frühen Abend trudelt mein Mitbewohner Bernd ein, und wenig später ruft unsere Freundin Nuray an, die sich überreden lässt, auf ein Bier vorbeizukommen. Zusammen stoßen wir auf meinen ersten Tag als Lehrer an. Plötzlich fällt mir die Geschichte von Mr. Was-guckst-du aus der U-Bahn ein.
    »Oh Mann, diese Proleten«, sagt Nuray kopfschüttelnd und seufzt. Sie ist als Tochter türkischer Einwanderer in Berlin

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