Isenhart
finden, der seinen Weg durch einen Spalt im Holz in die drückende Düsternis des Raums fand.
Von Ascisberg erkannte auf dem Stück Metall, das mehr oval alsrund war, einen Bischofsstab. Der Fremde, der es mit seinen Künsten fertiggebracht hatte, ein totes Kind zurück unter die Lebenden zu holen, der es – jede andere Sichtweise wäre pure Blasphemie – dem Schöpfer persönlich wieder entrissen hatte, benutzte Geld der Münzpräge zu Worms. Denn nur diese versah ihre Pfennige mit dem Bischofsstab.
Er nahm eine Münze an sich, zückte den Dolch, aber besann sich sofort. Die Stichwaffe verschwand wieder an seinem Gürtel, er kniete sich neben den Säugling, raffte ein paar mit Blut besudelte Tücher zusammen und presste sie dem hilflosen kleinen Menschen mit all seiner Kraft auf Mund und Nase.
»Herr, vergib mir«, murmelte er, und als die kleinen Ärmchen sich im Todeskampf zu regen begannen, fügte er hinzu: »Herr Jesus, es geschieht um deinetwillen und dir zu Ehren.«
Das Neugeborene gab ein ersticktes Husten von sich, die Beine strampelten erst zögernd und dann immer wilder, als könnten sie für ein Quäntchen Luft sorgen, wenn sie sich nur panisch genug aufbäumten.
Walther von Ascisberg trat in der eisigen Hütte der kalte Schweiß auf die Stirn. Er hatte, man sah es ihm nicht an, allerlei Seelen von ihrem fleischlichen Gefängnis befreit. In der Schlacht bei Doryläum mit dem ausweglosen Verhältnis sieben zu eins konfrontiert, hatte er zur Verblüffung seiner Feinde und seinen Leidensgenossen zum mitreißenden Vorbild mit dem Namen des Herrn auf den Lippen eine blutige Bresche in die Linie der Muselmanen geschlagen und mit dem Zweihänder wie im göttlichen Wahn vier von ihnen enthauptet, bevor ein Streitflegel seinen Helm traf, dessen Dröhnen ihm das rechte Trommelfell zerriss und dessen Wucht ihm die Sinne raubte.
Und nun, dreiundzwanzig Jahre später, fand er sich beinahe unfähig, ein wehrloses Bündel Mensch vom Leben zum Tode zu befördern. Endlich wurden die Ellipsen, die Beine und Arme des Säuglings in der Winterluft beschrieben, langsamer. Verloren an Schwung, an Intensität.
Gleich war es so weit. Walther von Ascisberg drückte mit aller Kraft drei Finger – die Faust konnte der Mund des Neugeborenen nicht aufnehmen, sofern man ihm nicht die Kiefer brach – tief inden Rachen. Ein gegurgeltes Husten noch, dann war es vorbei, dann fielen die Ärmchen aufs Stroh und regten sich nicht mehr.
Von Ascisberg atmete schwer, packte die Tücher und warf sie zur Seite. Die Augen des Knaben waren geschlossen, aber er wusste, dass der Blick unter den Lidern gebrochen war.
Von Ascisberg erhob sich. Etwas außer Atem betrachtete er den kleinen Leichnam unter sich. Scham überkam ihn, er musste sich abwenden.
Da, ein Gurgeln!
Er fuhr herum, denn was er hörte, war bar jeglicher Vernunft. Doch von Ascisberg hatte sich getäuscht, sein Gehörsinn ihm einen Streich gespielt. Das Neugeborene war tot.
Schon wich das Blut aus seinen Adern, die Haut wurde bleich. Man konnte zusehen, wie der Tod in rasendem Tempo Zoll um Zoll Besitz von dem noch warmen Körper ergriff und alles, was er noch an Leben vorfand, in sich aufsog.
Walther von Ascisberg ritt neben seinem Diener Ruprecht den schmalen Weg hinauf zur Burg Laurin, deren Wehrturmspitze man schon erblicken konnte.
Ruprecht hielt die Zügel der beiden Pferde, die ihre getöteten Reiter trugen. Er hatte je einen Fuß und eine Hand der Erschlagenen mit einer Schnur aus Rosshaar unter dem Bauch der Pferde verbunden, sodass ihnen die Leiber ihrer Gefährten unterwegs nicht verloren gingen.
Schneeflocken schwebten im sachten Tanz mit dem Wind auf sie herab. Das Kind schrie. Von Ascisberg drückte das Bündel fester an sich, um es zu wärmen.
Er würde sich später noch oft fragen, was ihn dazu veranlasst hatte, in der Hütte neben dem Säugling noch einmal auf die Knie zu gehen.
Wieder hatte er ein Geräusch von sich gegeben, ein Geräusch, das aus seinem Mund drang, die Lippen hatten sich geöffnet und mit dem Säuseln einer Brise etwas in den Raum entlassen.
Die Seele?
Von Ascisberg kniete sich neben den zweifach Gestorbenen. Seine Nase dicht über den Säugling gebeugt, stellte er fest, dass ernach nichts roch. Dass er rein war und ihn diese Reinheit über den beißenden Gestank in dieser Hütte erhob.
Der Mann, den sie jagten, war für Walther von Ascisberg kein Fremder, ganz im Gegenteil. Und etwas von der Seele dieses Wahnsinnigen wurde
Weitere Kostenlose Bücher