Ismaels fliegende Wale
angenommen, daß entweder ihr Vater oder ihre Mutter oder der einzige Sohn der Familie gestorben sei. Aber die Nachricht, die der Kapitän ihr überbrachte, war noch weitaus schlimmer. Die Stadt Zalarapamtra war vernichtet und die meisten ihrer Bewohner waren während einiger weniger Stunden der langen Nacht getötet worden. Die Purpurbestie, der stachelbewehrte Tod, hatte zugeschlagen. Nur wenigen war auf den Schiffen die Flucht gelungen, und einer der Flüchtlinge hatte die Schreckensnachricht dem Kapitän des Walfängerschiffes überbracht. Dieser war daraufhin in seinem Kummer ziellos umhergereist, bis er ein anderes Schiff gefunden hatte, dem er seine Nachricht überbringen konnte.
Tränen liefen über Namalees Gesicht, das sie hinter den Händen verbarg, ehe sie fortfahren konnte.
„Diese Purpurbestie …“, sagte Ismael. „Was ist das?“
„Es gibt glücklicherweise nur wenige von ihnen“, sagte Namalee.
„Zalarapamtra, der Halbgott und Gründer unserer Stadt, tötete die Bestie, der der Berg gehörte, auf dem sich nun die Stadt befindet … befand. Die Bestie ist weitaus größer als das gewaltige – aber harmlose – Ungeheuer, durch das wir mit unseren Schiffen fielen. Es besitzt viele Tausend dünner Tentakel, die einen Menschen zu Tode stechen können. Und es legt Eier, die mit lautem Krachen explodieren und Verwüstungen anrichten.“
Ismael hob fragend die Augenbrauen. „Es tut mir wirklich leid“, sagte er, „daß du deine Familie und dein Volk auf solche Art und in einer solch kurzen Zeit verloren hast. Aber sag mir – gehen wir deswegen nach Norden, weil dort Zalarapamtra liegt und du die Hoffnung hast, einige Überlebende zu finden, mit denen du die Stadt wieder aufbauen kannst?“
„Zuerst muß ich mit meinen eigenen Augen sehen, was passiert ist“, sagte Namalee. „Vielleicht ist es gar nicht so schlimm, wie der Kapitän berichtete. Immerhin hat er die Stadt vor der Vernichtung verlassen. Er vermutet nur, daß sie völlig zerstört ist.
Auf jeden Fall gibt es noch andere Walfängerschiffe, die nach Zalarapamtra zurückkehren werden. Auf ihnen befinden sich hauptsächlich Männer, aber jedes wird von einer meiner Schwestern begleitet. Wir können uns unserem Hauptgott zu Füßen werfen und ihm versprechen, ihm in Zukunft besser zu dienen, damit er uns vor erneuter Zerstörung beschützt. Wir werden einen neuen Großadmiral wählen, und wir Zoomashmarta-Jungfrauen werden uns Gatten nehmen und Kinder gebären.“
„Dein Schiff befand sich also auf dem Rückweg nach Zalarapamtra, als das meine wie ein hölzerner Stern aus dem Himmel fiel und es zerstörte“, sagte Ismael. „Ich hatte an sich damit gerechnet, daß dieses Unglück das letzte sein würde, das ich miterlebe. Es ist geradezu ein Wunder, daß du dich nicht verletzt hast.“
Er dachte eine Weile über ihre Geschichte nach und wurde von großem Mitleid überwältigt. Nach allem was er wußte, war sie die letzte ihrer Familie – und es war gut möglich, daß sie, bevor die Geschichte endete, auch die letzte ihres Volkes sein würde.
„Dieser Kahamwudu “, sagte Ismael und benutzte damit den Namen, der in der Übersetzung Die-Purpurbestie-mit-dem-Stachel-tod bedeutete, „dieser Kahamwudu muß ja wirklich ungeheuer groß sein. Und seine Tentakel scheinen sehr lang zu sein, wenn es ihm gelingt, damit in jeden ein zelnen Raum einer Stadt vorzudringen, die – wie du sagtest – aus einem ausgehöhlten Felsen besteht und tief in einen Berg hineinführt. Aber dennoch könnte es einigen Leuten gelungen sein, dem Stacheltod zu entgehen.“
„Möglicherweise“, sagte Namalee, „aber es gibt noch einige Dinge über den Kahamwudu, die ich dir nicht erzählte, weil ich annahm, du wüßtest sie. Vielleicht habe ich mich sogar richtig verhalten, daß ich sie dir nicht erzählte, da du, wenn ich deinen Worten glauben kann, nicht einmal von dieser Welt bist.“
„Das stimmt“, sagte Ismael lächelnd. Er nahm ihr ihre Zweifel nicht übel. Wenn er während seiner Fahrt mit Kapitän Ahab einer jungen Frau begegnet wäre, die behauptet hätte, aus der Vergangenheit zu kommen – hätte er ihr etwa Glauben geschenkt?
„Laut den Geschichten, die unsere Priester und Großmütter uns erzählten, wird der Kahamwudu des öfteren von kleineren Ungeheuern begleitet. Sie gehören unterschiedlichen Arten an und reisen auf dem Rücken der großen Bestie. Wenn der Kahamwudu tötet, wird er manchmal von den kleineren bestohlen, obwohl
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