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Ist Gott ein Mathematiker

Ist Gott ein Mathematiker

Titel: Ist Gott ein Mathematiker Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Livio
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Zahlenverliebtheit ihren Ursprung hat. Woher kam die Vorstellung, dass nicht nur alle Dinge durch eine Zahl beschreibbar, sondern dass alle Dinge Zahl
sind?
Da Pythagoras darüber nichts geschrieben hat oder seine Schriften verloren gegangen sind, ist es nicht leicht, diese Frage zu beantworten. Was von Pythagoras’ Argumentation überliefert ist, basiert auf einer Handvoll vorplatonischer Fragmente und auf von Philosophen – vorwiegend Platonikern und Aristotelikern – sehr viel später geführten (und somit nicht allzu verlässlichen) Diskussionen. Das Bild, das sich aus dem Zusammenfügen der einzelnen Indizien ergibt, lässt vermuten, dass die Erklärung für die Zahlenversessenheit der Pythagoreer sich aus zwei Beschäftigungen herleiten könnte, die auf den ersten Blick nichts miteinander zu tun haben: aus musikalischen Experimenten und aus der Beobachtung des Himmels.
    Wenn wir verstehen wollen, wie jene geheimnisvollen Bande zwischen Zahlen, den Sternen und der Musik haben Gestalt annehmen können, müssen wir mit der interessanten Tatsache beginnen, dass die Pythagoreer eine Methode hatten, Zahlen mit Hilfe von Kieselnoder Punkten
bildlich
darzustellen. So stellten sie beispielsweise die natürlichen Zahlen 1, 2, 3, 4, … als Dreiecksformationen von Steinchen dar (siehe dazu Abbildung 1). Das Dreieck, das sich auf einer Grundlinie aus vier Steinen konstruieren lässt (und aus insgesamt zehn Steinen besteht), trug den Namen
Tetraktys
(was so viel bedeutet wie vierfach oder «Vierheit») und wurde von den Pythagoreern als Sinnbild der Vollkommenheit betrachtet. Diese Tatsache fand Eingang in eine Anekdote des griechischen Satirikers Lucian (ca. 120–180 n. Chr.): Pythagoras bittet jemanden zu zählen. Als der Mann «1, 2, 3, 4» zählt, unterbricht ihn Pythagoras mit den Worten «Sieh doch! Was du für vier hältst, ist in Wirklichkeit 10, vollkommenes Dreieck und unser Schwur.» Der neoplatonische Philosoph Iamblichos (ca. 250–325 n. Chr.) berichtet uns, dass die Pythagoreer folgende Eidesformel verwendeten, wenn sie einen Schwur taten:
    Bei ihm, der die Heilige Vier gab unsrem Geschlechte,
Quell der Wurzelkräfte des immerströmenden Werdens

    Abbildung 1
    Warum war die Tetraktys so hoch geschätzt? Weil sie in den Augen der Pythagoreer des 6. Jahrhunderts die gesamte Natur des Universums einzufangen schien. In der Geometrie – dem Ausgangspunkt für die epochale Revolution griechischen Denkens – repräsentierte die Zahl 1 einen Punkt •, 2 eine Linie, 3 eine Flächeund 4 einen dreidimensionalen Tetraeder. Die Tetraktys umfasste demnach alle wahrgenommenen Dimensionen des Raumes.
    Das aber war nur der Anfang. Die Tetraktys hatte sogar bei der wissenschaftlichen Betrachtung von Musik ihren Auftritt. Pythagorasund den Pythagoreern wird allgemein die Entdeckung zugeschrieben, dass die Unterteilung einer Saite in aufeinanderfolgende ganzzahlige Verhältnisse harmonische und konsonante Intervalle hervorbringt – etwas, das man bei jeder Aufführung eines Streichquartetts zu hören bekommt. Wenn zwei ähnlich gespannte Saiten gleichzeitig gezupft werden, ergibt sich immer dann ein angenehmer Klang, wenn die Längen der Saiten in einfachem ganzzahligem Verhältnis zueinander stehen. Saiten gleicher Länge klingen zum Beispiel unisono, ein Verhältnis von 1: 2 lässt eine Oktave erklingen, 2: 3 ergibt die reine Quinte, 3: 4 die reine Quarte. So wurde die Tetraktys nicht nur der Vollkommenheit ihrer räumlichen Eigenschaften halber geschätzt, sondern auch als Repräsentation jener mathematischen Verhältnisse, die der Harmonie der musikalischen Tonsprache zugrunde liegen. Diese augenscheinlich so magische Vereinigung von Raum und Musik war für die Pythagoreer ein machtvolles Sinnbild und das Fundament für ihren Glauben an die Harmonie des Alls.
    Und wie passte der Himmel zu alledem? Pythagoras und die Pythagoreer hatten auch zur Astronomie etwas zu sagen – ihre Rolle mag nicht von entscheidender Bedeutung gewesen sein, zu vernachlässigen ist sie jedoch auch nicht. Immerhin gehörten sie zu den Ersten, die befanden, dass die Erde eine Kugel sein müsse (vermutlich aufgrund der vermeintlichen mathematisch-ästhetischen Überlegenheit der Kugel). Sie waren außerdem vermutlich die Ersten, die feststellten, dass die Planeten, Sonne und Mond jeder für sich eine eigene unabhängige West-Ost-Bewegung vollführen, in einer Richtung, hieß das, die der täglichen (Schein-)Rotation der Sphäre der

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