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Der Jukebox-Mann

Der Jukebox-Mann

Titel: Der Jukebox-Mann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Åke Edwardson
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1
    In Detroit City war Kennedy erschossen worden. Schüsse von irgendwo über eine Straße in Detroit City. Plötzlich wussten es alle und erstarrten an der Stelle, wo sie standen. Und an den Ort, wo sie in dem Augenblick gestanden hatten, würden sie sich erinnern, solange sie lebten, wenn sie jemand fragte. So war es im ganzen Land, vielleicht auf der ganzen Welt.
    Johnny Bergman hatte gerade mit dem Kopf in einer Seeburg KD-200 gesteckt und die Rolle sachte von hinten gedreht, um herauszufinden, warum sie klemmte. Eine Titelstreifenrolle sollte sich möglichst nicht aufhängen. Das war doch der Vorteil dieses Modells, aber das war Seeburg, typisch Seeburg, der Cadillac der Jukeboxen, wenn sie funktionierte, und ein einziger Problemfall, wenn sie nicht funktionierte. Neu war sie die Beste, aber jetzt war nichts mehr besonders neu an ihr.
    Jemand hatte es im Radio gemeldet. Jemand hatte es im Radio gerufen, aber Johnny hatte nicht hingehört, es nicht begriffen. In dem Augenblick, als er dabei war, einen der Führungsbolzen einzuschieben, hatte sich ein Mädchen in die Box geneigt und geschrien:
    »Kennedy ist erschossen worden! Kennedy!«
    Johnny war zusammengezuckt und hatte sich fast den Kopf gestoßen. Dann hatte er sich aufgerichtet und umgesehen. Das Mädchen hatte geschrien, als ob die Tat hier drinnen begangen worden wäre, die Grüppchen an den Tischen und an der Theke in Sigges Grill waren erstarrt, im Radio wurde die Nachricht ein ums andere Mal wiederholt. Es war eine nackte Nachricht, sie war ganz allein, und er hatte gedacht, dass die Stimme im Radio einen dumpfen Klang hatte, der zu den Worten und der Hässlichkeit von Sigges Grill passte. Das einzig Schöne hier drinnen war die Jukebox.
    Es war Abend gewesen, vielleicht acht, vielleicht neun. Es hatte geregnet. Draußen war es sehr schwarz gewesen. Das Licht im Café war plötzlich schneidend und hart geworden. Johnny hatte der Radiostimme gelauscht. Das Mädchen hatte geweint. Die Jazzer an den Tischen hatten nicht mehr gejazzt. Sie hatten auf ihn gewartet, damit sie noch einmal Bobby Bare spielen konnten. Er hatte die Ungeduld an den Tischen rundum gespürt. Es war still geworden, als die Jukebox ihren Geist aufgegeben hatte, und die Stille war unerwartet und ungeplant gewesen, und das war die schlimmste Stille.
    Während er bei der Box stand und auf Sigges Radio horchte, hatte er gewusst, dass sie heute Abend nichts mehr spielen würden, auch wenn er die Titelstreifenrolle wieder in Gang kriegte.
    »Scheiße, war das in Detroit?«, hatte Sigge hinter der Kasse gesagt. »War das in Detroit City?!« Auf seine Stirn fiel ein Streifen kaltes blaues Licht von der Kühltheke hinter ihm. Johnny fand, es sah aus wie eine selbstleuchtende Mullbinde. Näher würde Sigge einem Leuchten nie kommen. Und das galt für noch mehr Leute hier drinnen, für fast alle, jedenfalls für die Jungs. Johnny Bergman war zuständig für die Töne, aber er brachte auch Licht, eine andere Art Licht, das Licht der Jukebox, ein Neonschein, der auf den Gesichtern der Jungen leuchtete, wenn sie sich über die Tasten beugten, und Johnny wusste, dass sie einer größeren Stadt nie näher kommen würden als an diesem Ort.
    Er hatte der Stimme im Radio gelauscht. Die Worte waren undeutlich geworden, wie in einer Endlosschleife. Draußen war ein weiterer Laster vorbeigedonnert, die unfassbare Neuigkeit und die Wörter, die davon berichtet hatten, waren in den Raum geflossen und hatten sich aufgelöst.
    »Detroit«, hatte Sigge wiederholt, und jemand hatte genickt. Johnny hatte auf die Rolle hinuntergeschaut und sie gedreht, und die Titelstreifen mit den großen Herbsthits waren erschienen, Detroit City mit Bobby Bare, am 28. September Siebter auf der Top-Ten-Liste und behauptete sich immer noch als Dritter. Es würde vielleicht eine Zeit kommen, dass er Bobby Bare austauschen musste, aber so weit war es noch lange nicht.
    Morgen gibt’s keine Liste, dachte er. Es wird ein listenloser Samstag.
    Das Mädchen hatte sich an ihn gelehnt, und er hatte sie festgehalten.
    Durch ihren Körper ging ein Beben. Und dann, als es plötzlich still wurde, hatte er die Worte aus dem Radio ganz klar gehört und zu Sigge geschaut, der taub zu sein schien unter seiner blau schimmernden Siegerhaube aus Mull.
    »Nein«, hatte Johnny gesagt, »nicht in Detroit City.«

2
    Er fuhr durch eine hoch gelegene, offene Landschaft. Eine vertraute Landschaft. Die Dämmerung senkte sich auf die Felder, die nach der

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