Ivanhoe
Ungewißheit enthoben sein.«
»Page!« rief er dann, geh schnell in mein Haus, sage meinem Waffenmeister, er soll sich bereit halten, richte meinen Befehl aus, daß Stephan, Wethereal, Thoesby und die drei Speere von Spyinglaw auf der Stelle zu mir kommen sollen, auch Hugh Bardon, der Kundschafter, soll dabei sein. Und nun, mein Prinz, fahrt wohl, bis auf bessere Tage!« Mit diesen Worten ging er hinaus.
»Da geht er hin, meinen Bruder gefangen zu nehmen,« sagte Prinz Johann. »Mit einer Seelenruhe geht er an sein Wert, als wäre Richard ein sächsischer Franklin. – Ich denke doch, er wird sich nach unsern Befehlen richten und sich nicht an der Person Richards vergreifen. Beim Augenlichte unserer lieben Frauen, mein Befehl war klar und bestimmt ausgedrückt! Es ist allerdings möglich, daß er ihn nicht deutlich genug vernommen hat, denn ich stand da gerade am offenen Fenster. Aber mit größter Bestimmtheit habe ich ihm zu verstehen gegeben, daß ich gegen die Person Richards, gegen sein Leben, nichts unternommen haben will. Wehe Waldemar Fitzurse, wenn er gegen diesen Befehl verstößt!«
»Dann will ich lieber zu ihm gehen,« sagte de Bracy lächelnd, »und ihm den Willen Eurer Hoheit in deutlicher Form ausrichten, denn da ich davon selber nichts gehört habe, so hat wahrscheinlich auch Waldemar nichts davon gehört.«
»Nein, nein,« versetzte Prinz Johann ungeduldig. »Ich gebe Euch die Versicherung, er hat alles deutlich gehört. Für Euch habe ich überdies wichtige Geschäfte, Moritz; kommt her, ich will mich auf Euch stützen.« Und vertraulich lehnte er sich auf ihn, und so schritten sie in der Halle auf und ab, und mit dem Anschein innigsten Vertrauens fragte Prinz Johann:
»Mein guter de Bracy, was denkt Ihr über diesen Waldemar Fitzurse? Er denkt, er wäre schon Kanzler. Aber selbstverständlich werden wir uns sehr überlegen, ob wir ein so wichtiges Amt einem Manne übertragen, der so geringe Achtung vor unserm Blute beweist, indem er so rasch bereit ist, etwas gegen unsern Richard zu unternehmen. Ihr denkt vielleicht, Ihr hättet in unserer Achtung verloren, indem Ihr das unerquickliche Ansinnen ablehntet? Nein, Moritz, wir achten Eure tugendhafte Standfestigkeit. Es gibt Dinge, die eben unbedingt getan werden müssen, ohne daß wir aber den Täter lieben oder achten. Und es gibt Weigerungen, etwas zu tun, die unsere Achtung vor dem, der sich unserm Willen widersetzt, nur noch erhöhen. Wenn jener meinen Bruder gefangen nimmt, so erwirbt er sich damit keinen so gerechten Anspruch auf das hohe Amt eines Kanzlers, als Ihr Euch dadurch, daß Ihr ritterlich und mutig den Auftrag von Euch wieset, Anspruch auf den Stab des Großmarschalls erworben habt. Des seid eingedenk, de Bracy, und nun, an Eure Arbeit!«
»Wankelmütiger Tyrann!« murmelte de Bracy vor sich hin, als er den Prinzen verlassen hatte. »Schlecht fährt, wer dir traut! Dein Kanzler sein? Da müßte man ein Gewissen haben wie du selber. – Aber Großmarschall von England –« und er streckte den Arm aus, wie um schon den Stab zu ergreifen, und ging mit großen Schritten durch das Zimmer – »das ist ein Preis der Mühe wert!«
Dreißigstes Kapitel.
Auf dem Maulesel, den ihm die Geächteten geschenkt hatten, begleitet von zwei stämmigen Yeomen, die ihm zum Schutz und als Wegweiser dienten, war Isaak von York unterwegs auf seiner Reise nach dem Präzeptorium des Ordens der Tempelritter Templestowe, um dort wegen Losgabe seiner Tochter zu unterhandeln. Das Präzeptorium war nur eine Tagesreise von dem zerstörten Schlosse Torquilstone entfernt, und der Jude hoffte, noch vor Anbruch der Nacht dort einzutreffen. Am Rande des Waldes entließ er daher seine Führer, gab jedem zum Lohne eine Silbermünze und setzte dann allein seinen Weg mit einer Eile fort, die, als er noch vier Meilen von dem Hofe der Templer entfernt war, seine Kräfte völlig aufgerieben hatte. Brennende Schmerzen wühlten ihm im Rücken und in allen Gliedern. Zu diesen körperlichen Qualen kam noch seine Herzensangst, und es war ihm ganz unmöglich, weiter als bis zu einem kleinen Flecken zu kommen, wo ein jüdischer Rabbi wohnte, der sehr bewandert in der Medizin und auch mit Isaak gut bekannt war. Nathan Ben-Israel empfing seinen leidenden Glaubensgenossen mit aller Güte, die das Gesetz vorschreibt und die die Juden gegeneinander ausüben. Er drang darauf, daß sich Isaak sogleich zur Ruhe begeben sollte, und gab ihm Arzenei, die das Fieber aufhob, das
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