Ivanhoe
Entsetzen, Angst, Trübsal und Erschöpfung in dem Körper des armen alten Juden angefacht hatten.
Als am andern Morgen Isaak aufstehen und weiterreiten wollte, widersprach Nathan als Wirt wie als Arzt diesem Vorhaben. Er sagte, es könne Isaak das Leben kosten. Aber Isaak erwiderte, mehr als Tod und Leben hinge davon ab, daß er unverzüglich nach Templestowe ritte.
»Nach Templestowe?« wiederholte sein Wirt erstaunt. Und er fühlte dem Kranken den Puls und murmelte: »Das Fieber hat nachgelassen, aber er scheint nicht recht bei Verstande zu sein.«
»Und warum nicht nach Templestowe?« versetzte der Patient. »Ich weiß wohl, es ist die Behausung derer, denen die verachteten Kinder der Verheißung ein Greuel sind, aber du weißt ja auch, daß uns wichtige Geschäfte oft mitten unter die blutdürstigen Soldaten der Nazarener führen.«
»Wohl, wohl!« sagte Nathan. »Weißt du aber auch, daß Lukas Beaumanoir, das Haupt des Ordens, den sie den Großmeister nennen, zurzeit in Templestowe ist?«
»Das wußte ich nicht.«
»Unerwartet ist er nach England gekommen und sein mächtiger Arm reicht weit, zu bessern und zu strafen. Groß ist die Furcht der Kinder Belials vor ihm. Sicher hast du schon von ihm gehört?«
»Gewiß,« antwortete Fsaak. »Die Heiden schildern diesen Lukas Beaumanoir als einen großen Eiferer, und unsere Brüder nennen ihn den großen Mörder der Sarazenen und der Kinder der Verheißung.«
»Und mit Recht nennen sie ihn so,« versetzte Nathan. »Was unter den Templern Pflicht heißt, das können andere wohl vergessen über Sinnesfreuden und Versprechungen von Gold und Silber. Beaumanoir aber ist aus anderm Schrot und Korn. Er haßt die Sinnlichkeit, er verachtet irdisches Gut und trachtet nur nach dem, was diese Leute die Krone des Märtyrers nennen. Möge der Gott Jakobs sie ihnen allen bald verleihen! Insbesondere hat dieser stolze Mann sein Schwert über die Kinder der Verheißung ausgestreckt, und in seinen Augen ist die Ermordung eines Juden ein besseres Opfer als die Ermordung eines Sarazenen. Von der Kunst unserer Ärzte hat er falsches und gottloses Gerücht verbreitet und sie als eine Eingebung des Satans verschrien. Möge ihn der Herr dafür züchtigen.«
»Trotz alledem und alledem,« erwiderte Isaak, »muß ich nach Templestowe, und wäre sein Angesicht furchtbar wie ein siebenfach geheizter Ofen.« Und er teilte Nathan die dringende Ursache mit, die ihn hinführe, und der Rabbi bekundete seine Teilnahme in der unter diesem Volke üblichen Weise, indem er sein Kleid zerriß und in lautes Klagen ausbrach. »So gehe denn,« sagte er dann. »Weisheit möge beschützen den Daniel in der Löwengrube. Wenn es geht, meide aber die Person des Großmeisters, denn es ist sein Morgen- und Abendlabsal, einem Juden Schmerz zu bereiten. Besser wäre es, wenn du mit Bois-Guilbert allein sprechen könntest, mit dem würdest du wohl leichter fertig werden, denn es heißt, diese verfluchten Nazarener seien untereinander gar nicht einig. Möge der Gott unserer Väter all ihre Anschläge werden lassen zuschanden!« Isaak sagte seinem Freunde Lebewohl und nach einer Stunde stand er schon vor dem Tore des Präzeptoriums von Templestowe.
Dieses Stift der Templer lag inmitten grüner Wiesen und fetter Weiden, die der vorige Präzeptor dem Orden vermacht hatte. Das Gebäude war gut befestigt: eine Vorsichtsmaßregel, die die Templer nie außer acht ließen und die in der damaligen Zeit auch nötig war. Zwei Hellebardiere in schwarzer Tracht standen an der Zugbrücke Posten, andere schritten auf den Wällen hin und her, in derselben düstern Kleidung, langsam wie Leichenbitter, mehr Gespenstern als Soldaten ähnlich. Ab und zu gingen auch Ritter in langen weißen Gewändern, das Haupt auf die Brust geneigt, und die Arme gekreuzt, über den Hof. Feierlich und stumm grüßten sie einander. Was strenge und asketische Leben der Templer, wie es die Ordensgesetze vorschrieben und durch das die üppige Ausschweifung und Zügellosigkeit bisher verdrängt worden war, schien unter dem strengen Blick des Großmeisters wieder in Templestowe eingekehrt zu sein.
Während Isaak am Tore hielt und überlegte, wie er wohl am besten hineinkommen könne, schritt Lukas Beaumanoir in einem kleinen Garten, der von den äußern Festungswerken eingeschlossen wurde, auf und ab. Er war in vertraulichem und bekümmertem Gespräch mit einem Ordensbruder, der ihn von Palästina her begleitet hatte. Lukas Beaumanoir war schon
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