Ivanhoe
Großmeister. »Es liegt uns viel daran, etwas über die Lebensweise unseres Bruders Brian de Bois-Guilbert zu erfahren.«
»Er steht in dem Rufe, tapfer und tüchtig zu sein,« sagte Konrad.
»Mit Recht,« erwiderte der Großmeister. »Unsere Tapferteit allein ist noch unserer Vorfahren, der Helden des Kreuzes würdig. Aber als Bruder Brian in den Orden kam, war er ein düsterer unzufriedener Mensch, der, wie es mir schien, nicht aufrichtigen Gemütes sein Gelübde geleistet und der Welt entsagt hat. Seither ist er ein Unruhestifter geworden unter denen, die sich gegen unsere Gewalt auflehnen, und hat nie bedacht, daß dem Großmeister in dem Sinnbilde des Stabes und der Rute die Macht verliehen ist, die Schwachen zu stützen und die Fehlenden zu strafen.« Und sich zu dem Knappen wendend, setzte er hinzu: »Bring' den Juden vor uns.«
Mit einer tiefen Verneigung entfernte sich der Knappe und kam gleich darauf mit dem Juden Isaak von York wieder. Ein entblößter Sklave hätte nicht mehr Furcht und bleiches Entsetzen an den Tag legen können, als der Jude, indem er jetzt in die Nähe des Großmeisters trat. Und als er ihm etwa auf drei Ellen nahe gekommen war, gab Beaumanoir ein Zeichen mit seinem Stabs, daß er stehen bleiben solle. Isaak fiel auf die Knie, küßte zum Zeichen seiner Unterwürfigkeit die Erde und stand dann wieder auf und stellte sich vor den Großmeister hin, die Hände über der Brust gekreuzt und das Haupt zu Boden gesenkt, mit all jenen äußeren Gebärden der Demut, wie sie im Orient üblich sind.
»Geh« zurück,« sprach der Ordensmeister zu dem Knappen, »und laß niemand, wer es auch sei, in den Garten, solange wir noch hier sind. Der Knappe verneigte sich und ging. »Jude,« sagte nun der stolze Greis, »höre wohl! Es ist unserm Stande nicht angemessen, lange mit dir zu sprechen und Zeit und Worte mit dir zu vergeuden. Antworte daher kurz auf das, was ich dich fragen werde, und vor allem sprich die Wahrheit, denn wenn du mich belügst, so soll dir die Zunge aus dem ungläubigen Halse gerissen werden.«
Der Jude wollte antworten, aber der Großmeister fuhr fort: »Schweig, Ungläubiger! Kein Wort in unserer Gegenwart, es sei denn, du hast auf eine Frage zu antworten! Was hast du mit unserm Bruder Bois-Guilbert zu tun?« In seiner Angst und Unsicherheit zauderte Isaak. Beaumanoir diese Todesangst bemerkend, ließ sich herab, ihm etwas Mut zuzusprechen. »Fürchte nichts für deine erbärmliche Person,« sagte er, »sei nur offen gegen uns. Ich frage dich nochmals was hast du mit unserm Bruder Bois-Guilbert zu schaffen?«
»Ich habe einen Brief zu überbringen,« stammelte der Jude. »Euer Hochwürden werden gestatten, daß ich ihn an den tapfern Ritter abgebe, er ist vom Prior Aymer, aus der Abtei von Jorlvaux.«
»Sagte ich nicht, Konrad, es seien schlechte Zeiten?« sprach der Großmeister. »Ein Zisterzienser Priester sendet an einen Krieger des Tempels einen Brief und kann keinen schicklicheren Boten finden als einen Juden. – Gib den Brief her!« Mit zitternden Händen griff der Jude in die Falten seiner armenischen Kappe. Er hatte der größeren Sicherheit halber die Schreibtafel des Priors darin verborgen und wollte mit ausgestreckter Hand und gebücktem Leibe nähertreten, um sie dem hohen Herrn in die Hand zu legen, aber der Großmeister rief: »Zurück, Hund! Ich rühre keinen Ungläubigen an, es sei denn mit dem Schwert! Konrad, nimm dem Juden den Brief ab und gib ihn mir!«
Beaumanoir empfing das Schreiben und las es in Eile, mit Zeichen der Verwunderung und des Abscheues. Dann hielt er es Konrad hin und mit der Hand leicht dagegen schlagend, sagte er: »Eine schöne Epistel das von einem Christen an einen Christen! Und beide hervorragende Mitglieder heiliger Orden! Lies laut vor, Bruder Konrad! Und du, Jude, merke dir den Inhalt, wir werden dich nachher darüber befragen.«
Und Konrad las wie folgt: »Aymer, von Gottes Gnaden, Prior des Hauses der Zisterzienser der heiligen Maria von Jorlvaux, wünscht dem Sir Brian de Bois-Guilbert, Ritter des heiligen Ordens der Templer, Gesundheit und Glück in den Freuden des Bacchus und der Venus. – Was unsere derzeitige Lage anbelangt, teurer Bruder, so befinden wir uns als Gefangener in den Händen einiger gottlosen Männer, die allen Gesetzen Hohn sprechen, nicht davor zurückschrecken, unsere Person festzuhalten und ein Lösegeld dafür zu beanspruchen. Hier ist mir auch das Unglück Front-de-Boeufs zu Ohren gekommen und
Weitere Kostenlose Bücher