Ivanhoe
Anführer einer Freischützenschar werdet Euch doch nicht um Weibertränen scheren! – Wenn ein paar Tröpflein auf die Fackel der Liebe gesprengt werden, so brennt sie um so heller.«
»Wärens nur ein paar Tröpflein gewesen!« entgegnete de Bracy. »Aber diese Dame hat so viel Tränen vergossen, daß man ein Wachtfeuer damit hätte auslöschen können. Ein Wassergeist oder Undine selber muß in der schönen Sächsin stecken, denn solch ein Händeringen und solch ein Tränenfluß ist seit der alten Niobe nicht wieder gesehen worden.«
»Und im Busen der Jüdin muß eine Legion von Teufeln hausen,« sagte der Templer, »einer allein hätte sie nicht mit solchem Mute und solcher Entschlossenheit beseelen können. Doch wo ist Front-de-Boeuf?«
»Ich glaube, er verhandelt mit dem Juden,« sagte de Bracy kalt. »Wahrscheinlich heult Isaak so laut, daß er das Horn nicht hört. Ihr wißt ja, Sir Brian, wenn sich ein Jude von seinen Schätzen unter solchen Bedingungen trennen soll, wie sie Front-de-Boeuf stellen wird, so macht er einen Lärm, daß ein Dutzend Jagdhörner und Schlachttrompeten nicht dagegen aufkommen können. Wir sollten aber Front-de-Boeuf durch seine Leute rufen lassen.«
Gleich darauf kam aber Front-de-Boeuf schon. Wie der Leser weiß, war er in seiner tyrannischen Grausamkeit gestört worden. »Wir wollen sehen, was dieser verdammte Lärm zu bedeuten hat,« sagte er, »es ist ein Brief eingegangen, in sächsischer Sprache, wenn ich nicht irre.«
Er betrachtete ihn, drehte ihn herum und gab ihn dann de Bracy.
»Ich könnte es ebensowenig lesen, als wenn es Zauberhieroglyphen wären,« antwortete dieser, »ich habe wohl mal Schreibunterricht gehabt, aber meine Buchstaben wurden wie Speere und Schilde, und da wurde der Unterricht bald aufgegeben.«
»Gebt her,« sagte der Templer, »wir sind insofern Priester, als unsere Tapferkeit mit Kenntnissen gepaart ist.«
»So laßt uns Eure Gelahrtheit zugute kommen!« rief de Bracy. »Was steht in dem Wisch?«
»Es ist eine Herausforderung,« erwiderte der Templer. »Und wenn es nicht ein Scherz ist, so ist es die schnurrigste Kriegserklärung, die jemals über die Zugbrücke eines freiherrlichen Schlosses gekommen ist.«
»Scherz?« rief Front-de-Boeuf. »Ich möchte doch wissen, wer sichs unterstehen sollte, mit mir zu scherzen! Lest, Brian.«
Der Templer las wie folgt:
»Ich Wamba, der Sohn von Ohnewitz, Hausnarr eines edeln, freigeborenen Mannes, nämlich Cedrics, den sie den Sachsen nennen, und ich, Gurth, der Sohn Beowulfs, Schweinehirt ...«
»Bist du von Sinnen?« unterbrach ihn Front-de-Boeuf.
»Beim heiligen Lukas! so steht es hier,« entgegnete der Templer. Dann las er weiter: »Ich, Gurth, Sohn des Beowulf, Schweinehirt bei genanntem Cedric, wir beide mitsamt unseren Verbündeten, die uns in dieser Fehde ihren Beistand gewähren, unter denen nur der gute Ritter angeführt sein mag, der vorderhand nur den Namen hat: der schwarze Faulpelz, wir tun Euch, Reginald Front-de-Boeuf, und Euern Helfershelfern und Mitschuldigen kund und zu wissen, daß Ihr ohne Ursach und vorher erklärte Fehde wider Recht und mit Gewalt unseren edeln Herrn Cedric gefangengenommen habt, Ihr habt Euch ferner der Person eines edeln freigeborenen Mädchens, der Lady Rowena von Hargottstandstede, und der Person eines edeln und freigeborenen Mannes, des Athelstane von Conningsburgh bemächtigt, ferner der Person eines Juden Isaak von York und seiner Tochter und mehrerer Pferde und Maultiere. All diese Personen edeln Standes, so wir genannt haben, und die Diener und Sklaven, die Pferde und Maultiere, der Jude und die Jüdin haben in Frieden gestanden mit seiner Majestät dem König und waren als getreue Untertanen unterwegs auf der Heerstraße des Königs. Wir fordern und verlangen daher, daß die besagten edeln Persönlichkeiten, Cedric von Rotherwood, Rowena von Hargottstandstede, Athelstane von Conningsburgh, ihre Diener und Sklaven, Pferde und Maultiere, der Jude und die Jüdin, mit all ihrem Hab und Gut, binnen einer Stunde herausgegeben werden, unberührt und unbeschädigt an Leib und Gut. Wenn dies nicht geschieht, so erklären wir Euch für Verräter und Räuber, und wollen unseren Leib gegen Euch im Kampfe wagen und Euch belagern oder sonst alles versuchen, was sich irgend tun läßt, um Euch zu vernichten und zu zerstören. Im übrigen möge Euch Gott helfen. – Gegeben von uns am St. Witholdsabend, unter der großen Eiche in Harthills Walde. Geschrieben von
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