Jack McEvoy 01 - Der Poet
Gewalteinwirkung,
Verstümmelung post mortem (Kapokfasern)
5. Theresa Lofton, Denver, CO
Studentin, Angestellte einer Kinder-
tagesstätte
WW, geb. 4-7-75, gest. 16-12-94
Schnur-Strangulation, Verstümmelung
post mortem (Kapokfasern)
»Auch auf dieser Liste fehlt ein Opfer«, sagte Doran. »Baltimore. Soweit ich informiert bin, war das Opfer kein Kind, sondern eine Lehrerin. Polly Amherst. Schnur-Strangulation und Verstümmelung post mortem.«
Sie wartete einen Moment für den Fall, dass die Kollegen es notieren wollten. »Wir sind noch dabei, uns Akten und Daten über diese Fälle zufaxen zu lassen«, fuhr sie fort. »Diese Liste wurde nur für die heutige Besprechung zusammengestellt. Aber schon jetzt lässt sich sagen, dass es in all diesen sekundären Fällen direkt oder indirekt um Kinder geht. Drei Opfer waren Kinder, zwei arbeiteten direkt mit Kindern zusammen, und die letzte, Manuela Cortez, war eine Haushälterin, die auf dem Weg zu jener Schule entführt und ermordet wurde, von der sie die Kinder ihres Arbeitgebers abholen wollte. Demnach steht zu vermuten, dass es der Täter ursprünglich auf Kinder abgesehen hatte, dass aber bei der Hälfte der Fälle etwas schief gegangen ist, und der Täter irgendwie von den Erwachsenen gestört wurde und sie deshalb umbrachte.«
»Was ist von den Verstümmelungen zu halten?«, fragte ein im äußeren Kreis sitzender Agent. »Bei einigen erfolgten sie post, und bei den Kindern ... nicht.«
»Das wissen wir noch nicht, aber eine Vermutung ist, dass es Teil seiner Tarnung ist. Indem er sich unterschiedlicher Methoden und Vorgehensweisen bediente, versucht er, einer Entdeckung zu entgehen. Auf dieser Liste mögen die Fälle ähnlich erscheinen, aber je vollständiger die Analyse wird, desto mehr Verschiedenheiten weisen sie auf. Es ist, als seien diese Opfer von sechs verschiedenen Männern mit unterschiedlichen Mordmethoden umgebracht worden. In allen Fällen wurden von den zuständigen Dienststellen VICAP-Fragebögen ausgefüllt, aber nirgendwo Übereinstimmungen entdeckt. Wie Sie wissen, umfasst der Fragebogen inzwischen achtzehn Seiten. Worauf es hinausläuft - ich glaube, dieser Täter kennt unsere Vorgehensweise. Ich glaube, er wusste, dass er bei jedem seiner Opfer hinreichend anders vorgehen musste, damit unsere Computer nie eine Übereinstimmung feststellen konnten. Der einzige Fehler, den er gemacht hat, waren die Kapokfasern. Damit haben wir ihn erwischt.«
Ein weiterer Agent im äußeren Kreis hob die Hand, und Doran nickte ihm zu.
»Wenn in drei Fällen Kapokfasern am Opfer festgestellt wurden - weshalb hat dann der VICAP-Computer nicht reagiert, wenn, wie Sie sagten, alle Fälle eingegeben wurden?«
»Menschliches Versagen. Im ersten Fall, dem Ortiz-Jungen, handelte es sich um eine Gegend, in der Kapok heimisch ist. Deshalb wurde er nicht beachtet und war auch nicht in dem Fragebogen enthalten. Im Albuquerque-Fall wurden die Fasern erst identifiziert, nachdem das VICAP-Protokoll eingereicht worden war. Und später wurde das Protokoll nicht ergänzt. Ein Versehen. Die Übereinstimmung ist uns einfach entgangen. Wir haben es erst heute vom Field Office erfahren. Nur im Denver-Fall wurde der Kapok als wichtig genug erkannt, um in dem VICAP-Protokoll aufgelistet zu werden.«
Mehrere Agenten stöhnten leise, und auch mir wurde ein bisschen schlecht. Es war schlicht und einfach die Chance vertan worden, schon bei dem Albuquerque-Fall festzustellen, dass ein Serienkiller sein Unwesen trieb. Wie wäre die Sache sonst weitergegangen? Vielleicht würde Sean dann noch leben!
»Das bringt uns zu der großen Frage«, sagte Doran. »Mit wie vielen Killern haben wir es zu tun? Einem, der die ersten Opfer umbringt, und einem zweiten, der die Detectives ermordet? Oder nur mit einem? Einem, der sie alle auf dem Gewissen hat? Im Augenblick gehen wir von einer Verknüpfungstheorie aus. Wir vermuten, dass in all diesen Städten zwischen den beiden Morden irgendein Zusammenhang besteht.«
»Welches sind die Motive?«
»Da können wir vorerst nur Vermutungen anstellen. Die naheliegendste ist, dass er in der Ermordung der Detectives eine Methode sieht, seine Spuren zu verwischen, sein Entkommen sicherzustellen. Aber wir haben noch eine andere Theorie. Nämlich die, dass der erste Mord begangen wurde, um einen
Detective ins Spiel zu bringen. Mit anderen Worten, der erste Mord ist ein Köder, auf derart grauenvolle Art präsentiert, dass er einem Detective
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