Jack McEvoy 01 - Der Poet
bevor der sechste Fall bestätigt wurde«, sagte sie. »Wenn Sie ihn nachtragen möchten - er gehört zwischen Beltran und Brooks. Der Name ist John McCafferty, ein Mord-Detective vom Baltimore Police Department. Weitere Details bekommen wir später. Jedenfalls gibt es, wie Sie sehen können, nicht viel, was all diesen Fällen gemeinsam ist. Die verwendeten Waffen sind unterschiedlich, die Tatorte sind unterschiedlich, und wir haben drei Weiße, einen Schwarzen und einen Lateinamerikaner als Opfer ... Das zusätzliche Opfer, McCafferty, war ein Weißer, siebenundvierzig Jahre alt.
Aber es gibt, was die Tatorte und das Beweismaterial angeht, immerhin beschränkte Gemeinsamkeiten. Jedes Opfer war ein Detective, der in einer Mordkommission gearbeitet hat und an einem Kopfschuss starb, und in keinem der Fälle gab es irgendwelche Zeugen. Von hier aus gelangen wir zu den beiden Schlüssel-Gemeinsamkeiten, auf denen unsere Ermittlungen basieren werden. In sämtlichen Fällen gibt es einen Hinweis auf Edgar Allan Poe. Das ist der eine Schlüssel. Der andere ist, dass die Kollegen der Opfer überzeugt waren, dass diesen ein spezieller Mordfall schwer zu schaffen machte - Zweien von ihnen so sehr, dass sie sich in psychiatrische Behandlung begaben.
Und nun schlagen Sie bitte die nächste Seite auf...«
Papier raschelte. Ich spürte förmlich, wie alle Anwesenden von einer grimmigen Faszination ergriffen wurden. Für mich war es ein unwirklicher Moment. Ich kam mir vor wie ein Drehbuchautor, der seinen Film endlich auf der Leinwand sieht. Bis dahin war dies alles nur in meinen Notizbüchern, meinem Computer und meinem Kopf versteckt gewesen und hatte ins ferne Reich der Möglichkeiten gehört. Jetzt aber saßen hier Ermittler, die offen darüber redeten, Listen betrachteten, die Realität dieses Horrors bestätigten.
Die nächste Seite enthielt die hinterlassenen Botschaften, all die Zitate aus Gedichten von Poe, die ich in der Nacht zuvor gefunden und rausgeschrieben hatte.
»Das ist etwas, das die Fälle unwiderlegbar miteinander verbindet«, sagte Doran. »Unser Poet liebt Edgar Allan Poe. Den Grund dafür kennen wir noch nicht, aber wir werden hier in Quantico daran arbeiten. Alles Weitere erklärt euch jetzt Brad.«
Auf dieses Stichwort hin stand der Agent auf, der direkt neben Doran saß. Ich blätterte zurück zur ersten Seite und fand darauf einen Agenten Bradley Hazelton. Brass und Brad. Was für ein Team, dachte ich. Hazelton, ein schlaksiger Mann mit einem Gesicht voller Akne-Narben, schob seine Brille hoch, bevor er sprach.
»Ähem, wir wissen inzwischen, dass die sechs Zitate - den Fall in Baltimore eingeschlossen - aus drei von Poes Gedichten stammen, beziehungsweise seine angeblich letzten Worte waren. Wir beschäftigen uns eingehend mit diesen Zitaten, um heraus zufinden, ob es in dem, wovon die Gedichte handeln, irgendeinen gemeinsamen Tenor gibt oder ob sie uns irgendwelche Hin weise auf den Täter liefern können. Es erscheint mir ziemlich offensichtlich, dass dies der Punkt ist, an dem der Täter mit uns spielt und an dem er das größte Risiko eingeht. Ich glaube nicht, dass irgendjemand den Zusammenhang zwischen diesen Fällen herausgefunden hätte, wenn der Täter nicht immer wieder denselben Autor zitieren würde. Diese Gedichte sind so etwas wie seine Signatur. Wir werden versuchen, herauszufinden, weshalb er sich für Poe entschied statt für - sagen wir - Walt Whitman, aber ich ...«
»Das kann ich Ihnen sagen«, rief ein am entgegengesetzten Ende des Tisches sitzender Agent. »Poe war ein morbides Arschloch, und das ist unser Mann auch.«
Ein paar Leute lachten.
»Nun ja, in einem allgemeineren Sinn mag das zutreffen«, sagte Hazelton, dem entgangen war, dass diese Bemerkung die Stimmung ein wenig lockern sollte. »Trotzdem werden Brass und ich daran Weiterarbeiten, und wenn Sie irgendwelche Ideen haben, würde ich sie gern hören. Einiges steht jetzt schon fest: Poe gilt als der Vater des Kriminalromans. Er hat den >Doppelmord in der Rue Morgue< geschrieben, in dem es um einen mysteriösen Fall geht. Es gibt also irgendwo da draußen einen Täter, der das alles als ein Kriminalrätsel betrachtet. Es macht ihm anscheinend Spaß, uns mit diesem Rätsel zu verspotten, indem er Poes Worte als Hinweise benutzt. Ich habe begonnen, einige Standardwerke über Poes Werk zu lesen, und dabei etwas Interessantes gefunden. Eines der Gedichte, das der Täter zitiert hat, trägt den Titel >Das
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