Jack Reacher 09: Sniper
Sokolows Genick.
Wladimir blickte nach rechts, wo er das Geräusch gehört hatte. Reacher war bereits in Bewegung. Wladimir drehte sich halb um. Sah ihn kommen. Stieß sich vom Tisch ab und richtete sich halb auf. Reacher beobachtete, wie er die Entfernung zu dem Revolver abschätzte. Sah auch, dass er versuchen würde, sich auf die Waffe zu stürzen. Reacher verstellte ihm den Weg, duckte sich unter Wladimirs linkem Haken weg, vergrub die Schulter an seiner Brust, umfasste mit beiden Armen seinen Rücken und hob ihn hoch. Riss ihn einfach hoch und drehte ihn vom Tisch weg.
Und dann drückte er zu.
Die beste Methode, einen Riesen wie Wladimir lautlos zu erledigen, bestand darin, ihn einfach zu zerquetschen. Kein Geschrei, keine Schüsse, keine Schlägerei. Solange seine Arme und Beine mit nichts in Kontakt kamen, würde es keinen Lärm geben. Kein Gebrüll, kein Gekreisch. Nur ein langes, mühsames, kaum hörbares Ausatmen, als die letzte Luft aus seinen Lungen entwich.
Reacher hielt Wladimir so hoch, dass seine Füße den Boden nicht mehr berührten, und drückte mit aller Kraft zu: Er zerquetschte Wladimirs Brustkorb mit einer kräftigen und langen Umarmung, die kein Mensch überleben konnte. Damit hatte Wladimir nicht gerechnet. Er hielt dies für eine Art Vorspiel, nicht für das Hauptereignis. Als ihm das klar wurde, drehte er in panischer Angst durch. Er trommelte verzweifelt mit den Fäusten auf Reachers Rücken und versuchte, mit den Füßen seine Schienbeine zu treffen. Blödsinnig, dachte Reacher. Damit verbrennst du nur Sauerstoff. Und mehr bekommst du nicht, Kumpel. Das kannst du mir glauben. Er verstärkte seinen Klammergriff. Drückte stärker zu. Und noch stärker. Und dann noch stärker in einem erbarmungslosen Rhythmus, der mehr und mehr und mehr verlangte. Er knirschte mit den Zähnen. Sein Herz jagte. Seine Muskeln wurden groß und hart wie Felsbrocken und begannen zu brennen. Er konnte spüren, wie Wladimirs Brustkorb knackte, eingedrückt wurde, krachte, zerquetscht wurde. Und wie der letzte Rest Luft aus seiner nach Atem ringenden Lunge gepresst wurde.
Sokolow rührte sich.
Reacher wankte unter Wladimirs Gewicht. Drehte sich unbeholfen auf einem Bein. Setzte zu einem Tritt an und traf den Messergriff mit dem Absatz. Sokolow hörte auf, sich zu bewegen. Wladimir hörte auf, sich zu bewegen. Reacher hielt den Druck noch eine Minute aufrecht. Dann lockerte er langsam seinen Griff, beugte sich nach vorn und ließ die Leiche zu Boden gleiten. Ging daneben in die Hocke. Keuchte vor Anstrengung. Suchte einen Pulsschlag.
Kein Puls mehr.
Er stand auf, zog Cashs Messer aus Sokolows Genick und schlitzte damit Wladimir die Kehle von einem Ohr zum anderen auf. Für Sandy , dachte er. Dann drehte er sich um und tat das Gleiche auch mit Sokolow. Sicherheitshalber . Blut lief über den Tisch und tropfte zu Boden. Es spritzte nicht, sondern quoll nur mehr hervor. Sokolows Herz hatte bereits zu pumpen aufgehört. Er ging wieder in die Hocke und wischte die Klinge an Wladimirs Hemd ab, erst eine Seite, dann die andere. Dann zog er sein Handy heraus. Hörte Cash fragen: »Helen?«
Er flüsterte: »Was ist passiert?«
Cash antwortete: »Aus dem Haus ist auf uns geschossen worden. Helen meldet sich nicht mehr.«
»Yanni, ab nach links«, sagte Reacher. »Versuchen Sie, sie zu finden. Franklin, sind Sie da?«
Franklin meldete sich: »Hier.«
»Bereiten Sie sich darauf vor, einen Krankenwagen anzufordern«, sagte Reacher.
Cash fragte: »Wo sind Sie?«
»Im Haus«, antwortete Reacher.
»Gegenwehr?«
»Erfolglos«, sagte Reacher. »Woher ist der Schuss gekommen?«
»Zweiter Stock, Nordfenster. Was taktisch vernünftig ist. Sie haben den Scharfschützen dort oben postiert. So können sie ihm Anweisungen geben, je nachdem was die Kameras zeigen.«
»Jetzt nicht mehr«, sagte Reacher. Er steckte das Handy wieder ein. Griff nach dem Revolver. Klappte die Trommel heraus. Sie war mit fünf Smith & Wesson.38 Specials geladen. Er trat mit dem Messer in der Rechten und dem Revolver in der Linken auf den Flur hinaus. Machte sich auf die Suche nach der Kellertreppe.
Cash hörte Yanni eine Art Selbstgespräch führen, als sie nach links verschwand. Mit leiser, aber deutlicher Stimme wie bei einem Livekommentar sagte sie: »Ich bin jetzt nach Osten unterwegs, bleibe möglichst tief und folge in der Dunkelheit dem Zaun. Ich bin auf der Suche nach Helen Rodin. Wir wissen, dass auf sie geschossen worden ist.
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