Jack Taylor auf dem Kreuzweg
Gusseiserne Rechtfertigung. Ich begann mir immer mehr meine Stadt zu erwandern. Wie hat Bruce Springsteen sein New York betitelt, »My City of Ruins«? Im Hinterkopf keimte der Gedanke abzuhauen, zu fliehen, also hatte ich beschlossen, mir meine Stadt gründ lich anzusehen, bei null anzufangen. Ground Zero.
Ich ging vom Kanal zur St-Joseph’s-Kirche, und auf dem Weg dahin liegt das, was die Einheimischen jetzt Klein Afrika nennen. Ein ganzes Gebiet mit Läden, Apartments, Firmen, alle von Nigerianern, Ugandern, Sambesianern geführt, Menschen aus allen Teilen des massiven Kontinents. Für mich, einen weißen katholischen Iren, war das eine umwerfende Veränderung, kleine schwarze Kinder spielten auf der Straße, Trommelbeats kamen aus dem offenen Fenster, und die Frauen waren wunderschön. Ich sah verwirrend bunte Umhänge, Schals, Kleider jeder Art. Und freundlich … Wenn man sie anlächelte, lächelten sie mit echter Wärme zurück.
Und das trotz der widerwärtigen Graffiti an den Mauern:
NICHT-IREN NICHT WILLKOMMEN
Irische Nazis … eine Schande epischen Ausmaßes.
Ein älterer Schwarzer ging vor mir vorüber, und ich sagte: »Na, wie geht’s?«
Er sah mich lange verblüfft an, dann erhellte sich sein Gesicht, und er sagte: »Mir geht es rundum gut, Mann. Und du, Bruder, wie geht es dir?«
Ich wagte die Behauptung, es gehe mir recht gut, und, Scheiße, das rettete mir den ganzen Tag. Ich ging weiter, ein Lächeln fast auf dem eigenen Gesicht. Als ich oben in der Dominic Street angekommen war, bog ich links ab und trödelte in Richtung Small Crane.
Ist das nicht ein bildschöner Straßenname? Was der alles heraufbeschwört, man muss einfach fragen: Gibt es auch einen großen Kran?
Nein.
Dann stößt man auf das Rosa Dreieck. Echt wahr jetzt. In Galway. Ein Schwulenghetto. Mein Vater würde sich im Grabe umdrehen.
Ich dagegen bin entzückt.
Hält die Stadt in Bewegung, hält sie gemischt, gemixt, und vielleicht, vielleicht hören wir dann irgendwann auf, einander wegen jahrhundertealter sogenannter religiöser Differenzen umzubringen.
Aber ich wurde schon wieder für meinen Geschmack zu tiefsinnig, maulte: »Ein bisschen spät jetzt, ein soziales/politisches Bewusstsein zu entwickeln.«
An der Ecke gibt es eine Lesben-Bar, und ich hätte es meiner bigotten Mutter von Herzen gegönnt, das zu wissen. Sie hätte ein Streichholz dran gehalten und anschließend eine Messe lesen lassen.
Ich hatte meine Gangart beschleunigt, war auf der Quay Street, was etwa Temple Bar in Dublin entspricht – kleiner, aber nicht weniger randaleaffin, Bastion englischer Junggesellinnenabschiedspartys und allgemeiner schwerer Körperverletzung, importiert oder sonst wie. Bei dem schicken Hotel namens Brennan’s Yard, wo die litterati tranken, machte ich kehrt.
Mir hatte davor gegraut, in meine Wohnung zurückzukommen. Es gibt einen Song von Vince Gill, »I Never Knew Lonely«. Man lebt allein, sieht, wie ein geliebter Mensch zugrunde geht, es gibt wenig Depressionen wie die, wenn man in eine leere Wohnung kommt, die lautlosen Echos machen sich über einen lustig. Ich wollte röhren: »Hasi, bin wieder da-ha.«
Langsam ging ich die Treppe hoch, Bammel im Gedärm, Schlüssel in der Hand. Da war ein Schlüsselring dran, hatte Cody mir geschenkt, mit einer Sherlock-Holmes-Figurine. Ich atmete tief ein, drehte den Schlüssel um. Ich war im Schnapsladen gewesen, hatte mir Kräftigungsmittel besorgt.
Flasche Jameson in der Hand, trat ich ein, fand ein Glas, schenkte großzügig ein, prostete: »Willkommen daheim, Arschgesicht.«
Egal, wie hoch die Kosten sind – und ich hatte so teuer bezahlt wie nur möglich –, diese ersten Momente, wenn der Schnaps deine Welt mit Licht erfüllt, da gibt es nichts … nichts, was dem nahekommt. Ich war wieder bei dem gottverdammten Sehnen, beim Jieper angelangt, beim Versuch, mich innerhalb eines gewissen Gleichgewichts zu halten. Scheiße, ich hatte diesen Pfad tausendmal beschritten, hatte nie funktioniert, hatte immer zur Katastrophe geführt. Die Stille im Zimmer war betäubend.
Ich machte diesen debilen Quatsch bereits eine Zeit lang, kaufte mir Alk, schenkte mir ein und goss das Zeug dann ins Klo, wobei ich wie ein benebeltes Mantra quengelte: »Runter damit in die Latrine, genau wie mein Leben.«
Bevor auf mich geschossen wurde – bevor auf mich geschossen wurde, prima Einleitung, das; viel besser als da, wo wir Ferien gemacht haben, aber immer –, hatte ich versucht,
Weitere Kostenlose Bücher