Jackpot - wer traeumt, verliert
hatte die Taschenlampe noch sehen können, die sich von der Autobahnböschung runter zur Unfallstelle bewegt hatte.
Aber sie sah immer noch viel zu fertig aus, um ihrer Mutter zu begegnen: total blass, geschwollene Augen – als hätte sie zwei Tage durchgetanzt und nur von Wodka gelebt.
Was in der U-Bahn-Station hinter dem Einkaufszentrum am anderen Ende der Panzerwiese zum Glück nicht groß aufgefallen war. Mit den Fingern hatte sie sich die Haare wie eine Maske vors Gesicht gekämmt – und war, mit hochgestelltem Kragen, gesenktem Kopf, Arme vor der Brust verschränkt, die zwei Stationen bis nach Feldmoching gefahren.
Wo sie noch mal zwanzig Minuten in der Kälte auf den 362er warten musste. Der sie dann endlich nach Ludwigsfeld brachte, an den Arsch der Welt – beziehungsweise von München. Das Hasenbergl war New York dagegen.
Jetzt, im dunklen Treppenhaus vor der Wohnungstür, überlegte Sabrina kurz, runter in den Waschkeller zu gehen, bis ihre Mutter weg war. Da war es immerhin einigermaßen warm. Sie spürte ihre Zehen kaum noch, ihre Wildlederstiefel waren nicht dafür gemacht, durch knietiefen Schnee zu waten.
Aber Sabrina hatte ihre letzten Kräfte verbraucht, sie konnte einfach nicht mehr, sie musste in die Wohnung. Vielleicht war ja das Badezimmer frei. Das konnte man vom Flur aus erreichen, ohne dass man im Wohnzimmer gesehen wurde.
Und wenn sie Pech hatte, müsste sie ihrer Mutter eben sagen, dass sie sich geprügelt hatte. Mit den drei Schlampen aus ihrer Schule. Wär nicht zum ersten Mal, also auch nicht wirklich gelogen.
Obwohl, jetzt kam es auch nicht mehr drauf an, ehrlich zu sein.
Sabrina steckte den Schlüssel vorsichtig ins Schloss und öff-
nete die Wohnungstür. Sie konnte das Küchenradio hören und Geschirrgeklapper – sie hatte Glück. Mit zwei Schritten war sie im Bad und sperrte hinter sich wieder zu.
Dann drehte sie den Warmwasserhahn über der Badewanne auf, stützte sich aufs Waschbecken, schaute kurz in den Spiegel. Einen Schönheitswettbewerb würde sie heute nicht mehr gewinnen. Morgen wahrscheinlich auch nicht.
Sie öffnete den Spiegelschrank und suchte die Kopfschmerztabletten, die ihre Mutter hier immer liegen hatte, und fand sie neben dem Reinigungsalkohol – den sie auch gleich aus dem Schrank nahm. Falls sie noch irgendeine Wunde an sich entdeckte, die sie bisher nicht gespürt hatte.
Gab es so was nicht – dass man Schmerzen nicht spürte, wenn man so unter Strom stand? Hoffentlich spitzte ihr nicht irgendeine Rippe durch die Haut! Dann würde der Alkohol auch nicht mehr helfen. Außer sie trank ihn.
Sabrina zog Jacke und Pullover aus und sah nur ein paar blaue Flecken im Spiegel. Glück gehabt.
Aus der Badewanne dampfte es angenehm. Sabrina drehte auch noch die Heizung auf fünf. Dann wurde die Türklinke runtergedrückt. Mehrmals, Mist.
»Hallo?«, sagte ihre Mutter draußen. »Sabrina?«
Auf die Schnelle fiel Sabrina nichts Besseres ein, also sagte sie: »Ich bin auf dem Klo, Mama.«
»Kann ich trotzdem kurz rein?«
»Lieber nicht, es – riecht hier drin nicht besonders gut, verstehst du.«
»Oh. Na gut, dann sehen wir uns morgen früh, ich hab’s eilig. In der Küche ist noch Pizza für dich.«
»Okay.«
Sabrina hockte sich erleichtert auf den Rand der Badewanne, als sie die Wohnungstür ins Schloss fallen hörte. Dann mühte sie sich aus ihrer viel zu engen Jeans.
Sie würde aufpassen müssen, dass sie nicht einschlief. Das würde gerade noch fehlen: 16-Jährige überlebt Harakiri-Unfall auf Autobahn – und ertrinkt in Badewanne. Damit käme sie bestimmt in die Zeitung.
Sabrina stieg in die Wanne und ließ sich vorsichtig nieder. Ihr Rücken tat weh, so, wie wenn sie zu viel Sport gemacht hätte. Sie schloss die Augen.
Das Wasser war genau richtig. Oh Gott, wenn ein Tag ein Happy End verdient hatte, dann dieser!
War es richtig gewesen, den Jungen mit der Tasche fortzuschicken?
Ja. Es war reines Glück, dass die Polizei erst so spät gekommen war und sie sich gerade noch retten konnte.
Im Prinzip hatte sogar der Junge sie gerettet. Wäre er nicht zufällig vorbeigekommen und hätte den Verbandskasten gesucht, dann hätte die Polizei sie aus dem Kofferraum gezogen.
Außerdem hätte sie die schwere Tasche nie alleine schleppen können in ihrem Zustand. Sie konnte schon froh sein, dass sie sich selber nach Hause geschleppt hatte.
Um die Tasche würde sie sich morgen kümmern.
Wenn dann nicht schon die Polizei mit Handschellen vor der
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