Jaeger
schüttelte den Kopf, als könne er das, was sie ihm soeben gesagt hatte, dann besser verarbeiten. »Dass du … dass du so viel durchgemacht hast.«
»Wie auch? Du weißt rein gar nichts über mein Leben.«
»Na ja, ich dachte eben, du sitzt deine Stunden ab, rückst ein paar Leuten die Köpfe zurecht, kassierst ’ne Menge Kohle dafür und …«
»Düse dann ab in die nächste Sektbar?«
»Eigentlich wollte ich sagen, ins Theater oder in irgendein piekfeines Restaurant. Aber, ja. So was in der Art.«
Wieder ein halbes Lächeln. Wehmütig, wie angesichts einer süßen Erinnerung oder eines schönen Traums. »Wenn es doch nur so einfach wäre. Aber wenn ich zu einem Fall hinzugezogen werde, vor allem wenn es einer von Phils Fällen ist, ein richtig schweres Verbrechen, dann ist es immer hart.«
»Und trotzdem kommst du dir jetzt schwach und hilflos vor. Warum?«
Sie fing seinen Blick ein und hielt ihn fest. Jede Andeutung eines Lächelns war aus ihren Zügen verschwunden. »Mein Mann liegt schwerverletzt im Krankenhaus. Und meine Tochter ist verschwunden. Vielleicht werde ich sie nie wiedersehen. Ich habe alles verloren.« Sie stand auf. »So bin ich sonst nicht. Ganz und gar nicht.« Sie spürte, wie die Wut sie packte. Eine ohnmächtige, unbändige Wut.
»So wie Vater «, meinte Sandro.
Marina fuhr zu ihm herum. »Nein, ich bin nicht so wie er. Sag das ja nicht.«
Sandro erschrak über ihre heftige Reaktion. »Ich hab damit nur gemeint, dass du von Vater die Kämpfernatur geerbt hast. Mehr nicht. Reg dich ab.«
Sie baute sich vor ihm auf. »Sag du mir nicht, dass ich mich abregen soll. Und ich bin nicht wie Vater. Mutter war immer die Stärkere von den beiden.«
Sandro zog die Brauen zusammen. »Was? Sie hat sich nie gegen ihn gewehrt. Hat sich einfach von ihm schlagen lassen. Was ist daran stark? Sie war ein Schwächling.«
»Sie war kein bisschen schwach, Sandro. Sie hat getan, was eine Mutter eben tut. Sie hat ihre Kinder beschützt.«
Er wirkte noch immer irritiert. »Wie denn? Er hat uns doch auch verprügelt.«
»Sie hat Schläge eingesteckt, die für uns gedacht waren. So viel sie eben konnte. Sie hat in Kauf genommen, dass er sie schlägt, damit er seine Wut nicht an uns auslässt. Ich will nicht behaupten, dass das der beste Weg war, mit der Situation umzugehen, aber sie wusste sich eben nicht anders zu helfen. Um so was über sich ergehen zu lassen, um das durchzustehen, was er ihr angetan hat, muss man stark sein.«
Sandro dachte eine Zeitlang schweigend nach. »Hm«, meinte er schließlich. »Ich glaub, ich weiß so ungefähr, was du meinst.«
»Du würdest es besser verstehen, wenn du Kinder hättest.« Sie sah ihn an. »Hast du Kinder?«
Die Frage überrumpelte ihn. »Äh … nicht dass ich wüsste, nein.«
»Dann wüsstest du genau, was ich meine, glaub mir.«
Er sagte nichts, sondern stand auf, ging in die Küche, holte sich einen neuen Energy Drink aus dem Kühlschrank und öffnete die Dose.
»Du trinkst aber ganz schön viel von dem Zeug«, stellte Marina fest.
»Ich brauch die Energie. Hab heute Abend einen Fight.«
Marine runzelte die Stirn. »Einen Fight.«
»Hm. Damit verdiene ich mein Geld. Unter anderem.«
»Was für eine Art Fight ist das denn?«
Er wandte den Blick ab. »Bareknuckle.«
»Was?«
»Ach, fang jetzt bloß nicht damit an. Ich hab da so eine Gruppe irischer Traveller kennengelernt. Gypsies, du weißt schon. Die machen so was eben. Das ist Teil ihrer Kultur.«
»Kultur nennst du das? Sandro, einige von diesen Leuten werden von klein auf aufs Kämpfen gedrillt. Sie kommen schon als Kämpfer auf die Welt.«
Er sah ihr in die Augen. »Ach. Und ich nicht?«
Marina wusste nicht, was sie darauf erwidern sollte. Sie wandte sich ab.
»Ist ja auch egal«, sagte Sandro. »Ich konnte immer schon ganz gut mit meinen Fäusten umgehen, und jetzt hab ich eben eine Möglichkeit gefunden, wie ich ein bisschen Kohle damit machen kann. Was ist so schlimm daran?«
»Du könntest ernsthaft verletzt werden.«
»Passiert nie.«
»Du meinst wohl, es ist bisher noch nicht passiert.«
Er schwieg.
»Was … Wie bist du denn da reingeraten?«
Er zuckte die Achseln und versuchte ihr die Sache möglichst kurz und knapp zu erklären. »Ich hab anfangs ein bisschen Sparring mit denen gemacht. Ein paar kleinere Kämpfe.« Erneutes Schulterzucken, als trüge er etwas Großes und Unbequemes auf dem Rücken. »Das sind Kumpels. Gute Kumpels. Wenn es bei denen Streit gibt,
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