Jaeger
zu bestehen. Alle möglichen Leute wollten mit ihm reden. Pausenlos. Die ganze Zeit. Nie hatte man seine Ruhe. Langsam reichte es ihm.
Wenigstens für einen kurzen Moment hatten sie ihn jetzt allein gelassen. In seinem Zimmer. Wo er für sich sein konnte. Das war besser als nichts.
Er lehnte sich in seinem Polstersessel zurück und versuchte sich zu entspannen.
Das Zimmer war klein, aber das gefiel ihm. Und gemütlich eingerichtet. Richtig wohnlich. Das gefiel ihm auch.
Er schloss die Augen und dachte nach. Er hatte noch immer Mühe, das Geschehene zu begreifen. Alles in die richtige Reihenfolge zu bringen.
Die Polizei hatte ihn laufen lassen. Er habe nichts Verbotenes getan, hatten sie ihm gesagt. Trotzdem waren sie der Ansicht gewesen, dass er jemanden brauchte, der sich ein bisschen um ihn kümmerte, und deswegen hatten sie ihm ein Zimmer in dieser ganz besonderen Unterkunft besorgt. »Betreutes Wohnen« hatten sie es genannt. Für Menschen, die nicht so gut allein zurechtkamen. Er hatte noch keine Gelegenheit gehabt, sich eingehender mit seinen neuen Mitbewohnern zu unterhalten, aber sie schienen alle ganz nett zu sein.
Fürs Erste allerdings wollte er ein bisschen Zeit allein verbringen. Allein in seinem Kopf.
Sie hatten ihm gesagt, dass er bald reich sein würde. Das war gut. Reich sein war gut. Sie hatten ihm einen Anwalt geschickt. Der hatte sich sehr gefreut, Stuart zu sehen. Hatte ihm mitgeteilt, dass Jack Sloanes letztes Testament rechtsgültig sei und es keinen Grund gebe, weshalb Stuart seinen Anteil am Sloane-Erbe nicht bekommen solle. Darüber hinaus stehe ihm auch noch eine Haftentschädigung zu. Der Anwalt hatte gesagt, dass er und Stuart beste Freunde werden könnten, aber seine Bewährungshelferin hatte ihn gewarnt. Er solle vorsichtig sein und nichts unterschreiben, was sie nicht vorher gründlich durchgelesen habe. Er hatte sich fest vorgenommen, ihren Ratschlag zu befolgen. Ganz fest.
Er öffnete die Augen und erhob sich aus seinem Sessel. Ging zum Fenster und blickte hinaus. Er lächelte. Er sah dieselben Dinge, die er früher von seiner Gefängniszelle aus gesehen hatte: Vögel. Bäume. Den Himmel. Andere Menschen, aber weit weg. Das war gut. Das gab ihm Sicherheit.
Er schlief jetzt auch endlich wieder besser und träumte nicht mehr, in seinem eigenen Körper gefangen zu sein. Wenigstens bisher nicht. Dafür hatte er einige andere Träume gehabt. Dass er wieder bei Amy/Dee war und nicht wegkonnte. Dass er Josephina die Waffe an den Kopf halten musste. Schlimme Träume. Aber er kam damit klar. Keine Träume über früher, über seine Kindheit. Oder über seinen Körper. Und meistens träumte er sowieso einfach nur … nichts. Und nichts war allemal besser als etwas, wenn das Etwas so schrecklich gewesen war.
Er trat vom Fenster weg und setzte sich wieder.
Josephina. Sie war wirklich ein nettes Mädchen. Wirklich niedlich. Er war unsagbar froh, dass sie jetzt wieder zu Hause bei ihrer Mutter war. Er hatte sogar mit ihrer Mutter gesprochen und sie gefragt, ob er Josephina besuchen kommen könne, zum Beispiel, um mit ihr auf den Spielplatz zu gehen. Aber ihre Mutter hatte gesagt, dass sie das für keine gute Idee halte. Sie wolle nicht, dass die Kleine durch irgendetwas oder irgendjemanden an die schrecklichen Ereignisse erinnert wurde. Stuart hatte das verstanden. Er war ziemlich traurig gewesen, aber wenn es zu Josephinas Bestem war, würde er sich damit abfinden. So machte man das, wenn man erwachsen war.
Erneut schloss er die Augen. Wahrscheinlich gab es Dinge, die er hätte tun sollen, aber ihm fielen keine ein. Alle kümmerten sich so nett um ihn. Es war ein bisschen komisch, hier zu leben, aber er würde sich schon noch daran gewöhnen.
Er lächelte.
Er musste nichts tun. Nur warten.
128 Phil hatte sich setzen müssen. Die Beine taten ihm weh. Marina war losgegangen, um ihm etwas zu trinken zu holen. Etwas Nichtalkoholisches. Die Feier war noch in vollem Gang. Sie beobachtete ihn dabei, wie er sich im Raum umsah.
Die Blutergüsse verblassten, die Schürfwunden heilten langsam ab. Von den Verletzungen im Gesicht würden keine Narben zurückbleiben. Die Nähte entlang des Haaransatzes und am Oberkopf waren noch deutlich sichtbar, was auch noch eine Weile so bleiben würde, doch die Haare wuchsen nach und würden schon bald die Narben verdecken. Hauptsache war, dass er keine langfristigen Schäden zurückbehalten hatte.
Er hatte Glück gehabt. Unfassbar großes Glück. Ihr
Weitere Kostenlose Bücher