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Jaeger

Jaeger

Titel: Jaeger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tania Carver
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Fassade der Worte blicken und daraus Informationen über Charakter und Motivation der Frau ableiten. Sie musste die Frau dazu bringen, sich zu verraten.
    Sie müssen noch diese eine Sache erledigen. Sie wollte also immer noch, dass Marina Stuart Sloane begutachtete. An dieser Idee hielt sie eisern fest. Ihr Tonfall allerdings ließ erkennen, dass sie von dem Plan nicht mehr überzeugt war. Als wisse sie genau, dass sie am Ende war und es jetzt nur noch darum ging, zu retten, was irgendwie zu retten war. In ihrer Stimme hatte eine gewisse Resignation mitgeschwungen. Das Wissen um eine bevorstehende Niederlage, die sich vielleicht noch abwenden ließe.
    Aber das bedeutet nicht zwangsläufig, dass sie sich geschlagen gibt , überlegte Marina weiter. Sondern nur, dass sie nicht als Verliererin dastehen möchte. Um jeden Preis? Das hängt davon ab, wie labil sie ist. Letzten Endes kann niemand voraussagen, was sie tun wird.
    Ich – wir … Die Frau hatte sich korrigiert. Mit dem ersten Wort hatte sie schon zu viel verraten. Sie ist allein. Ihr Partner – ihr Komplize, oder wie auch immer man ihn nennen soll – ist tot . Marina hatte die Leiche mit eigenen Augen gesehen. Dennoch wollte die Anruferin den Eindruck erwecken, als gebe es mehr als eine Person. Als stehe sie nicht allein da. Hatte sie das getan, um Stärke zu heucheln? Oder vermisste sie den Mann ganz einfach?
    Wir wollen, dass Sie das machen, nach wie vor. Wollen, dass Sie das machen, nach wie vor … Marina drehte und wendete den Satz in alle Richtungen. Oberflächlich betrachtet war er simpel, aber auch das war verräterisch. Holprig formuliert, die Satzstruktur ließ zu wünschen übrig. Anzeichen geistiger Verwirrung.
    Marina versuchte alles zusammenzufassen. Sie hatte es mit einer Frau zu tun, der für ihr Vorhaben inzwischen der rechte Mut fehlte, die aber nichtsdestotrotz alles so zu Ende bringen wollte, wie es ursprünglich geplant gewesen war. Eine Frau, die ihren Partner und Komplizen vermisste. Eine Frau, die vermutlich von vorneherein psychisch labil gewesen war und deren Verstand in noch gefährlichere Gefilde abzudriften drohte. Damit ließ sich doch etwas anfangen.
    »Hören Sie«, sagte Marina in mitfühlendem, aber zugleich sachlichem Tonfall. »Wir können das alles sofort zu Ende bringen. Sie können es zu Ende bringen. Geben Sie mir einfach Josephina zurück, und die Sache hat sich erledigt.«
    Ein Seufzer am anderen Ende, dann Schweigen.
    Marina sprach weiter. »Glauben Sie mir, ich weiß, dass es schwer für Sie ist. Sehr schwer. Vor allem jetzt, wo Sie alleine sind. Nach dem, was Ihrem … Partner zugestoßen ist. Das muss wirklich schlimm für Sie sein.« Keine Reaktion. Sie wägte kurz ab, ehe sie fortfuhr. »Ich weiß, wie es ist, jemanden zu verlieren. Es ist, als würde einem ein Teil des eigenen Herzens rausgerissen. Ein Teil des ureigenen Wesens. Und man hat das Gefühl … als könne man danach nie wieder ein ganzer Mensch werden.« Sie war krampfhaft bemüht, bei diesen Worten nicht an Phil zu denken.
    Sie spürte Sandro neben sich, der wie gebannt zuhörte.
    »Aber gleichzeitig denkt man, dass man unbedingt weitermachen muss. Denn wenn man nicht weitermacht, dann … wäre alles umsonst gewesen.« Sie wartete. Ließ ihre Worte wirken. »Sie machen eine schreckliche Zeit durch. Eine schreckliche Zeit. Aber ich kann Ihnen helfen. Wenn Sie es mir erlauben.«
    »Wie denn?« Die Stimme klang monoton, wie tot.
    »Das ist mein Beruf. Meine Arbeit.«
    Die Antwort war Schweigen. Im Hintergrund hörte Marina die Stimme eines kleinen Mädchens.
    »Ist das Josephina? Ist sie bei Ihnen?«
    »Ja«, sagte die Frau in einem Tonfall, den Marina nicht zu deuten vermochte.
    »Dann geben Sie sie mir. Ich möchte mit ihr sprechen.«
    Nichts.
    »Bitte. Ich bin ihre Mutter. Wenn Sie wollen, dass die Sache ein gutes Ende nimmt – wenn Sie wollen, dass ich Ihnen helfe, dann lassen Sie mich mit ihr sprechen.«
    Geräusche in der Leitung, von denen Marina nicht wusste, was sie zu bedeuten hatten. Schaben, Rascheln. Dann ein hohes Stimmchen.
    »Hallo?«
    Marina spürte, wie ihr Schutzpanzer zu bröckeln begann. Mit aller Macht riss sie sich zusammen. »Hallo, mein Liebling. Ich bin’s, Mami. Geht es dir gut?«
    »Nach Hause … Ich will nach Hause …«
    »Ich komme bald und hole dich ab, Schätzchen.« Marina hielt mühsam die Tränen zurück, die ihr in die Augen schossen. »Ganz bald. Es dauert nicht mehr lange.«
    »Ich will zu dir,

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