Jaeger
beantworten.«
Widerwillig schlug Stuart die Augen auf. Er entglitt ihnen immer mehr. Marina wusste, dass ihnen nur noch wenig Zeit blieb.
»Also. Amy ist nach Hause gefahren«, nahm sie den Faden wieder auf.
Stuart nickte. Seine Lider flatterten.
»Und wo ist dieses Zuhause, Stuart? Wo ist Amys Zuhause?«
»Na, in dem Haus«, sagte er irritiert. »In dem Haus, wo sie wohnt.«
»Im Haus? In welchem Haus denn?«
»In ihrem Haus.« Er wurde immer ungehaltener. Wenn sie Pech hatten, würde er sich ihnen komplett verweigern.
Marina fasste über den Tisch und ergriff Stuarts Hände. Er riss die Augen auf und fuhr zusammen, als hätte man ihm einen Elektroschock verpasst.
»Kommen Sie, Stuart. Nur noch ganz kurz. Sie müssen uns helfen.«
»Oh … okay.«
»Amys Haus, Stuart. Wo befindet es sich?«
Unruhe überkam ihn, als könne er nicht länger stillsitzen.
»Wo ist es, Stuart?«
Er wand sich auf seinem Stuhl.
»Können Sie es mir vielleicht aufmalen?«
Er schüttelte den Kopf. »Nein. Ich will nicht … ich will da nicht wieder hin.«
» Wieder ? Waren Sie denn schon mal dort?«
Er nickte. Versuchte Marina seine Hände zu entziehen. Sie hielt ihn fest.
»Wann war das, Stuart? Zusammen mit Amy?«
Wieder ein Nicken.
»Wann?«
»Als …« Erneut schüttelte er den Kopf und schloss die Augen. Doch diesmal nicht, weil er schlafen wollte, sondern um die Bilder in seinem Kopf loszuwerden. »Nein …«
Marina ließ seine Hände nicht los. »Bitte versuchen Sie es, Stuart. Denken Sie nach. Damit helfen Sie Josephina.«
Der Name ließ Stuart aufblicken.
Marina nutzte die Gelegenheit. »Wann waren Sie dort, Stuart? Wann war Amy dort?«
»Als sie … meine Mutter …«
Marina wartete schweigend.
»Als … Als Amy noch so getan hat, als ob sie meine Schwester wäre.«
»Und wann war das? Jetzt kürzlich?«
Er schüttelte den Kopf. »Die Zeit ist anders«, sagte er. »Die Zeit krümmt sich. Sie ist keine gerade Linie, sondern gebogen. Manchmal dreht sie sich auch im Kreis, und dann ist man plötzlich wieder da, wo man früher schon mal war.«
»Da haben Sie recht«, sagte Marina, die immer noch seine Hände hielt. »Aber wann waren Sie in dem Haus mit Amy?«
»Na, als sie … Als sie so getan hat, als ob sie meine … Schwester wäre.«
Franks beugte sich vor. »Und als sie so getan hat, als ob sie Ihre Schwester wäre«, wiederholte er leise, aber bestimmt, »hieß sie da auch Amy?«
Stuart schüttelte den Kopf.
Erneut tauschten Marina und Franks einen Blick. »Wie hieß sie denn, Stuart?«, fragte Marina. »Wie hieß sie, als sie so getan hat, als ob sie Ihre Schwester wäre?«
Er sah die beiden an, als läge die Antwort auf der Hand.
»Na – Dee natürlich.«
102 Als sie sich dem Haus näherten, hatte Dee die Scheinwerfer ausgeschaltet. Nun holperten sie langsam über die schmale, abgelegene Straße. Ihre Ankunft sollte nach Möglichkeit unbemerkt bleiben.
Nicht dass es eine Rolle gespielt hätte. Ihr Beifahrer verschaffte ihr in jeder Situation einen so deutlichen Vorteil, dass sie genauso gut in einem klingelnden Eiswagen hätte vorfahren können.
Sie wandte sich an den Golem. »Du kennst deinen Auftrag?«
Er nickte. Sie musterte ihn. Er hatte die ganze Fahrt über unablässig in einem stummen Selbstgespräch die Lippen bewegt. Ein kurzer Blick in seine Augen reichte aus, um zu erkennen, dass er unter Drogen stand.
»Kann ich mich auf dich verlassen?«
Wieder ein Nicken. Dann lächelte er plötzlich, als hätte jemand einen Witz erzählt, den außer ihm niemand gehört hatte.
»Dann geh. Du weißt, wo der Treffpunkt ist und was du zu tun hast.«
»Ich weiß, was ich zu tun habe«, erwiderte er.
»Dann geh los und tu es.«
Er schlüpfte aus dem Wagen und war bald nur noch ein Schatten in der Nacht.
Dee blickte zum Haus auf. Es wirkte trostlos und unheimlich. Sie konnte sich nicht vorstellen, wie es wäre, in einem solchen furchteinflößenden Gemäuer aufzuwachsen oder es gar als sein Zuhause zu bezeichnen. Dann dachte sie an ihr eigenes Zuhause zurück. Ein Kind konnte überall unglücklich sein.
Sie stieg aus, allerdings ohne den Wagen zu verriegeln. Sie wollte nicht, dass jemand den Signalton des Schlüssels hörte. Jemand. Natürlich war damit eine ganz bestimmte Person gemeint. Die Frau, deren Platz sie eingenommen hatte. Die wahre Dee Sloane.
Sie hatte Michael Sloane in einem Hotel kennengelernt. Damals hatte sie noch als Escort gearbeitet und unter einem anderen
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