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Jagablut

Jagablut

Titel: Jagablut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ines Eberl
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beschützen würde.
    Ein Bein des Mädchens war unnatürlich nach innen
geknickt, sodass das Knie über dem anderen Oberschenkel lag. Und im
Unterschenkel hatten Knochen die Haut durchbohrt, ragten weiß aus dem Bein
heraus.
    »Gottverdammte Scheiße.«
    Er spürte, wie wichtig es war, in dieser Minute
seine eigene Stimme zu hören. Irgendwie beruhigte das, zumindest ein wenig.
    Ein weiterer Druck auf den Auslöser. Und noch
einer. Er bückte sich, um auch Spiss ins Bild zu bekommen.
    Der Kopf war auf die Brust gesunken, die Hände
lagen auf den Oberschenkeln, Blut war keines zu sehen. Spiss sah kaum anders
aus als ein Mann, der auf einer Parkbank am Innrain einem Herzschlag erlegen
war und den Tinhofer zu fotografieren gehabt hatte. Der Mann war schließlich
prominent gewesen – ein Schauspieler am Landestheater. Ansonsten hätte ja
niemanden das Bild eines Herzinfarktlers in der Zeitung interessiert. Er
erinnerte sich daran, damals gedacht zu haben, wie schön dieser Tod gewesen
sein musste: keine lange Krankheit, kein Dahinvegetieren auf einer
Intensivstation, stattdessen Blick auf die Nordkette des Karwendelgebirges, das
Rauschen des Flusses und das Rauschen des Verkehrs. Vielleicht ist gerade noch
eine junge Frau in einem verdammt aufreizenden Minirock vorbeistolziert.
Vielleicht hat er sich noch gedacht, wie das wäre, wenn er mit ihr … Und dann,
ratzfatz, von einem Moment auf den anderen: Weg. Aus. Äpfel. Amen.
    Tinhofer machte noch drei weitere Aufnahmen, und
bei allen waren beide Opfer des Verkehrsunfalls ins Bild gesetzt: im
Vordergrund das Mädchen, entstellt, nackt, blutig und zugleich glitzernd. Im
Hintergrund der Unternehmer Reinhold Spiss, in sich zusammengesackt, die Brust
leicht gegen das Lenkrad gedrückt. Tot.
    Dann packte er die Kamera zusammen, hängte sie
über die Schulter und wollte den Aufstieg zur Straße beginnen.
    Droben fuhr wieder ein Auto vorbei, es fuhr
Richtung Brenner.
    Ich muss schauen, dass ich hier wegkomme, dachte
er.
    Doch als der Motorenlärm des vorbeifahrenden
Wagens verklungen war, geschluckt von den Kurven und dem sie säumenden Wald,
hörte er neben sich ein Röcheln.
    Er hielt in seiner Bewegung inne, war körperlich
wie psychisch schlagartig wie versteinert. Und er hoffte inständig, sich
getäuscht zu haben.
    Die Anzeigen am Armaturenbrett gaben nicht viel
Licht, aber immerhin genug, dass er die beiden Verunglückten zumindest
schemenhaft erkennen konnte. Ein zarter bläulicher Schimmer lag auf ihnen. Es
sah gespenstisch aus. Tinhofer wollte nur weg.
    Doch das Röcheln war keine Einbildung. Es kam
leise und doch unüberhörbar aus der Tiefe des zerstörten Mädchenkörpers. Da war
noch Leben.
    Blödsinn, dachte Tinhofer. Leben! Das ist kein
Leben mehr! Das ist nix mehr. Gar nix mehr.
    Es sah, dass die rechte Hand des Mädchens, die
aus der Tür heraushing, zuckte. Nichts sonst regte sich. Aus dem Motorraum des
Fahrzeugs kam ein gleichmäßiges dünnes Pfeifen, so ähnlich wie bei einer
Fahrradpanne, wenn die Luft eines Reifens ganz langsam durch ein winziges Loch
entweicht. Aber sonst nichts. Keine Bewegung und auch kein Röcheln mehr.
    Ich verschwinde.
    Verschwinden war das Einzige, was er jetzt noch
wollte. Weg, nur weg.
    Er hastete bergauf, so schnell, wie es das steile
Gelände nur zuließ. Er hangelte sich an den Büschen nach oben, rutschte weg,
zerriss sich die Hose am Knie, spürte, dass er sich auch die Haut stark
abgeschürft haben musste, aber er hielt nicht an, hastete weiter, als wäre ein
wildes Tier hinter ihm her gewesen. Er keuchte, die Lungen schmerzten, und er
verfluchte die Raucherei, die ein Übriges tat, dass er so schnell außer Atem
geriet.
    Fast wäre er auf den letzten Metern, kurz bevor
die Fahrbahn erreicht war, noch einmal gestürzt. Aber er konnte sich
aufrappeln, erreichte seinen Wagen und fuhr davon, ohne sich noch einmal
umzuschauen.
    Sein Hemd war vom Schweiß durchnässt, seine Hände
zitterten wieder, und er hatte das Gefühl, dass ihn diese Nacht verfolgen würde
bis an sein Lebensende.
    Und er sollte recht behalten.
    * * *
    Die Rettungskräfte, die um zehn vor zwei am
Morgen zum Unfallort kamen – alarmiert sonderbarerweise durch einen anonymen
Anruf – sahen es ganz ähnlich: Verdammte Scheiße. Man musste kein Fachmann
sein, um zu erkennen, dass es eine überaus schwierige Bergung werden würde.
    Und sie wurde schwierig, schwieriger als
erwartet. Denn rasch stellte sich heraus, dass es nicht darum ging, ein Wrack
mit toten

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