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Jagablut

Jagablut

Titel: Jagablut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ines Eberl
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dass er sie an diesem ersten Tag an keinen anderen Sender, egal,
ob Hörfunk oder Fernsehen, weitergab.
    Er hatte sich mehr ausgerechnet. Mit
sechzigtausend war er in die Diskussion gegangen; fünfundvierzigtausend hatte
er sich erhofft. Aber sein Gegenüber hatte natürlich auch gewusst, dass nicht
viel Zeit blieb – und dass Tinhofer das Geld, auch wenn es weniger als gedacht
war, sicher gut gebrauchen konnte.
    Tinhofer war dennoch zufrieden. Hatte er doch bei
der Zeitung, dem »Tiroler Stern«, zusätzlich zum vereinbarten Recherche- und
Bildhonorar noch mal achtundzwanzigtausend Schilling für die exklusiven Fotos
aushandeln können. Und er hatte auf Informantenschutz bestanden: Woher die News
kamen, wer das Foto gemacht und geliefert hatte – kein Wort darüber. Tinhofer
fürchtete, wegen unterlassener Hilfeleistung belangt werden zu können. Auch
wenn er noch der Meinung war, dass sie das Mädchen nie und nimmer lebend
gefunden haben konnten.
    Wer würde sich schon Gedanken darüber machen, ob
sie beim Unfall oder eine halbe Stunde später gestorben war?
    Tinhofer stellte sich in die Badewanne und
duschte lange, heiß und ausgiebig. Danach rasierte er sich über dem Waschbecken,
schabte sich den Schaum samt den Bartstoppeln vom Gesicht und beobachtete sich
selbst dabei im Badezimmerspiegel.
    Er war allein. Seine Frau war zur Arbeit
gegangen, das Töchterchen spielte im Kindergarten. Die Klinge schabte über die
raue Haut, riss einen Pickel auf, Tinhofer verzog das Gesicht, ein wenig Blut
färbte den Schaum rosa.
    Ich sollte weniger rauchen, dachte er. Weniger
rauchen, weniger Pickel.
    Aber es war nicht der richtige Zeitpunkt, mit dem
Rauchen aufzuhören. Ganz im Gegenteil. Sein Verlangen nach Zigaretten, nach
Tabak und Nikotin, war selten größer gewesen.
    * * *
    Als am darauffolgenden Tag die Zeitung auf
der Titelseite ein Foto vom Unfallfahrzeug brachte – man konnte Carla und Spiss
darauf sehen, und wer sie kannte, vermochte sie unter Umständen auch zu
erkennen –, wurde das in Innsbruck und dem Umland zum Tagesgespräch. Spiss war
von überregionaler Prominenz, hatte aus der Kfz-Werkstatt seines Vaters einen
Reifenfachhandel gemacht, um sodann erst Tirol und schließlich ganz Österreich
mit gut gehenden Filialen zu überziehen. Spiss war ein Markenname. Und zugleich
eine Persönlichkeit. Man kannte diesen Mann, der es aus eigener Kraft geschafft
hatte, sich ein kleines Imperium aufzubauen. Man kannte ihn aus der Zeitung,
aus dem Fernsehen, wusste, dass er jedes Jahr vor Weihnachten großzügig
spendete, dass er oben in Hötting lebte, seit achtzehn Jahren verheiratet war
und eine halbwüchsige Tochter hatte. Man wusste auch von Gerüchten, wonach er
mehrfach in Rotlichtlokalen gesichtet worden sein sollte, wonach seine Ehe
keine besonders gute wäre, wonach er und seine Frau nur den Schein wahrten. Wer
hätte sagen können, was dran war an diesen üblen Nachreden?
    Niemand konnte Gewissheit haben über die dunkle
Seite des honorigen Herrn Spiss – bis zu diesem Tag, bis zu diesem Foto.
    Die Zeitung weidete das Unglück gnadenlos aus.
»Unternehmer S. rast mit Schülerin ins Verderben« – »Das tragische Ende
einer (verbotenen) Liebesnacht« – »Tragödie nach Tête-à-Tête mit Schülerin –
Innsbrucker Reifenhändler S. überlebt schwer verletzt« – so und ähnlich
lauteten die Headlines und die Zwischenüberschriften am ersten Tag. Und was in
den Lauftexten stand, war eine Mischung aus Bericht und Spekulation, immer
wieder unter die Gürtellinie zielend. Leicht konnte man den Eindruck gewinnen,
dass nicht der fürchterliche Unfall und der Tod des Mädchens die eigentliche
Nachricht waren, sondern das Verhältnis des reifen Mannes mit der Schülerin,
die ansonsten, so die Zeitung, »unauffällig gewesen ist, keinen Freund gehabt hat
und bei den Klassenkameradinnen eher als graue Maus galt«.
    Es war eine üble Geschichte.
    * * *
    Staatsanwalt Dr. Magnus Kröninger war
außer sich. Er hatte am Morgen den noch nach Druckerschwärze riechenden
»Tiroler Stern« auf den Tisch bekommen. Das Foto auf der Titelseite war groß.
Es war nicht zu übersehen.
    Seine Sekretärin erschrak. So hatte sie den
jungen Staatsanwalt, für den sie seit gut eineinhalb Jahren arbeitete, noch
nicht kennengelernt. Im Allgemeinen schien er seine Emotionen gut im Griff zu
haben.
    »Welches Arschloch hat dieses Bild gemacht und an
dieses Schmierblatt gegeben?«
    Kröninger leitete bei diesem Verkehrsunfall

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