Jagablut
ordentlich
zugesetzt haben.«
Ich grinste. »Ja, doch, ich bin hartnäckig. Was ich mir einmal in den
Kopf gesetzt hab, zieh ich auch durch. Da kann mich nichts bremsen.«
»Freut mich zu hören«, sagte Thurner. »Wirst es in Alpbach brauchen.«
Wir verließen den Forstweg und fuhren auf der asphaltierten Straße
weiter, die zwischen Weidezäunen in den Ort führte. Braun gescheckte Kühe
beobachteten uns wiederkäuend. Vor ihren Häusern saßen die Leute beim
Sonntagsbraten. Ich hatte den ganzen Tag noch nichts gegessen, und nun spürte
ich, wie hungrig ich war. Hoffentlich war die Küche des Jagawirt geöffnet.
»Dieser Kaml«, sagte ich, »ist irgendwie ein komischer Typ. Was macht der
eigentlich im Jagawirt?«
»Der Schorsch?« Vor uns fuhr ein Traktor, und wir mussten uns dem Tempo
anpassen. Thurner schaltete die Untersetzung aus. »Das ist eine arme Sau. War
Holzarbeiter bis zu seinem schweren Unfall. Jetzt hat er’s mit dem Rücken und
ist eigentlich arbeitsunfähig. Aber der Steiner Vinzenz kennt ihn schon von
Jugend an und hat ihm halt den Hausmeisterjob im Gasthof gegeben.«
So viel Menschenfreundlichkeit hatte ich dem Wirt gar nicht zugetraut.
»Und der alte Wenghofer?«
»Dem Wenghofer ist vor ein paar Wochen die Frau gestorben. Jetzt hat er
den Hof an seine Nichte übergeben, und die baut groß um.« Thurner bog in den
Weg zum Jagawirt ein. »Schätze, wenn der Umbau fertig ist, wird er zu ihr
ziehen. Aber bis dahin wohnt er halt beim Steiner.«
»Hat er denn keine Kinder, die sich um ihn kümmern?« Ich war mit der
Vorstellung von ländlichen Mehrgenerationenfamilien nach Alpbach gekommen.
Thurner runzelte die Stirn und schwieg einen halben Kilometer, dann
kratzte er sich an der Nase. »Nein.«
»Dann ist er auch ein alter Freund vom Wirt?«
Er lachte. »Eher nicht, nein.« Die Vorstellung schien ihn zu amüsieren.
Wir fuhren um die alte Linde herum und hielten direkt vor den
Eingangsstufen.
»So, da wären wir.« Thurner schaute mich an. »Sieht man sich mal wieder?
Beim Aufbrechen kann ich jederzeit eine Medizinerhand gebrauchen. Oder ich
nehme dich gleich mit zum Jagern.«
»Bitte?« Ich hatte schon die Beifahrertür geöffnet.
»Ich sag ja, du musst an deiner Sprache arbeiten.«
»Nie und nimmer!« Ich kletterte aus dem Auto und lief die Stufen zum
Gasthof hinauf. Neben der Treppe war ein schweres, schwarz und silbern
glänzendes Motorrad abgestellt. Ich drehte mich um und winkte Thurner zum
Abschied zu. Der drückte dreimal auf die Hupe, deren Lautstärke es mit jedem
Alphorn aufnehmen konnte. Über mir schlug ein Fenster zu. Damit waren also
sämtliche Bewohner des Gasthofes über meine Bekanntschaft mit dem örtlichen
Tierarzt informiert.
Auf der Truhenbank in der Halle stand ein prall gefüllter Rucksack.
Daneben lagen eine dicke Lodenjacke, ein Fleecepullover, ein mit Anstecknadeln
gespickter Hut und ein Fernglas. Über der Lehne hing ein zerknautschter
Wetterfleck, und vor der Bank standen zwei Paar Bergschuhe mit verschieden
hohen Schäften. Der Bergstecken, über den ich am Morgen in Steiners Wohnung fast
gestolpert wäre, lehnte unter dem Auerhahn an der Wand.
Am Fuß der Treppe stand ein Mann, offenbar der Besitzer des Motorrads vor
dem Gasthof. Er trug eine schwarze Lederjacke, deren Ärmel mit Fransen besetzt
waren, und schien auf jemanden zu warten. Dunkle Haare hingen in fettigen
Strähnen um sein schlecht rasiertes Gesicht. Als er mich bemerkte, wandte er
sich ab und hastete zum Ausgang. Ich sah ihm nach und konnte gerade noch auf dem
Rücken seiner Jacke den Aufdruck »Harley Davidson« lesen, dann fiel die
Eingangstür hinter ihm ins Schloss. Gleich darauf heulte der Motor der schweren
Maschine auf und entfernte sich.
In der Gaststube setzte ich mich auf meinen Platz am Ofen. Als Wetti
erschien und nach meinen Wünschen fragte, erkundigte ich mich nach dem Gepäck
in der Halle.
»Ach, Frau Doktor«, sagte sie. »Der Chef geht doch morgen in aller
Herrgottsfrüh auf die Jagd. Das macht er immer zur Hirschbrunft. Drei Tage auf
die Jagdhütte. Mit seinem Spezi, dem Holzinger Matthias.« Sie schüttelte den
Kopf. »Da bricht er Punkt fünf Uhr auf. Und wehe, wenn dann nicht schon alles
hergerichtet is’.« Sie hob die Brauen und seufzte. »Möchten S’ was essen?
Der Topfenstrudel wär noch warm.«
»Oh, ja, bitte. Und einen schwarzen Tee dazu.«
Zehn Minuten später servierte sie mir den besten Topfenstrudel meines
Lebens.
Während ich ihn mir auf der Zunge
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