Schöne Leichen (Ein Lisa Becker Krimi) (German Edition)
Eins
Lisa Beckers Blick wanderte langsam über den nackten Körper vor ihr. Das kurze, gut frisierte schwarze Haar ging über in einen ebenso gut rasierten Nacken. Die Schultern w a ren haarlos, genau wie der schmale, aber trainierte Rücken des jungen Mannes. Die Haut war glatt und ohne Narben, alles war in makellosem Zustand. Wo Lisas Blick freilich am läng s ten haften bleib, war der Hintern.
„Total geil“, kommentierte sie den Anblick mit einem g e fräßigen Lächeln.
„Total tot“, bemerkte Fabian Zonk trocken.
„Na und? Ich mein ja nur. Verdammt schade.“
„Ja“, brummte Fabian, „so viele geile Ärsche werden viel zu früh aus unserer Mitte gerissen. Ich könnte heulen .“
„Sei nicht eifersüchtig. Ich bin ja nicht nekrophil. Auße r dem würde ich beinahe wetten, dass der Typ schwul war.“
Diese Wette war nicht schwer zu gewinnen. Die beiden Hauptkommissare vom Berliner Landeskriminalamt standen im Schlafzimmer eines jungen Mannes, dessen körperliche Vo r züge durch den Tod vor wenigen Stunden noch nicht gelitten hatten. Er lag wie hingegossen bäuchlings auf dem Bett, das Gesicht auf den Händen liegend , die Arme angewinkelt, die Beine nur leicht gespreizt. Ja, das sah nicht sehr macho aus. Lisas Mutmaßung hatte allerdings in erster Linie mit den gr o ßen gerahmten Fotografien an den Wänden zu tun, die a b wechselnd nackte Männer auf Motorrädern, auf Pferden, am Strand und in einem Fall beim Paragliding zeigten. Ein fac h fraulicher Blick der jungen Kommissarin genügte, um den fraglichen Herrn auf dem Bild als den Inhaber der Leiche selbst zu identifizieren.
„Zumindest hat er sein kurzes Leben genossen“, sagte L i sa und deutete auf das Bild.
„Ist Paragliding nicht eher eins von diesen Dingen, die man tut, weil man anderen beweisen will, wie sehr man das Leben genießt?“
„Bitte nicht die Zyniker-Nummer, Süßer, dafür ist es echt zu früh am Morgen.“
Es war halb neun. Der Tote war vor einer Stunde von einer Nachbarin gefunden worden, die sich über die offene Tür g e wundert hat te .
„Können wir dann, ihr zwei Komiker?“ kam eine männliche Stimme von hinten. Lisa und Fabian drehten sich abrupt um, und hinter ihnen lauerte bereits der leitende Gerichtsmediz i ner Professor Lamprecht, zusammen mit seinen zwei ve r huschten Assistentinnen, die in voller Burka-Astronauten- Montur samt Mundschutz erschien en und für das menschliche Auge völlig ununterscheidbar waren.
„Ja, toben Sie sich aus“, schulterzuckte Lisa und machte wie ihr Kolleg e Platz.
Lamprecht fokussierte den Leichnam und tat etwas mit Seltenheitswert: Er lächelte.
„Na, das ist doch mal hübsch.“
„Stehen Sie auf solche Jungs?“ fragte Fabian maliziös.
„Was?“ schnaubte Lamprecht. „Ach, hören Sie auf. Ich rede vom hygienischen Zustand dieses Kadavers. Schön sauber. Vielleicht wurde er nach der Tat gewaschen. Und ich sehe auch keine Darmentleerung, wie sie bei Toten ja gang und g ä be ist, wie Sie wissen. Sollten.“
„Ja, wissen wir“, stöhnte Lisa genervt. „Der Schließmuskel erschlafft, und was immer noch im Darm rumgegärt hat, macht den Abgang. Lernen wir alles in der FH.“
„Das sollte Allgemeinwissen sein, finde ich“, fand Lamprecht. „Ebenso wie das Abkacken beim Kindergebären, das kann die Mutter dann auch nicht unterdrücken. So, jetzt raus!“
Fabian schlüpfte durch die Schlafzimmertür und musste dann gleich zurückkommen, um eine wie vom Donner gerüh r te Lisa hinter sich herzuziehen.
„Was?“ hauchte sie geschockt. „Was hat er da gerade g e sagt?“
„Keine Angst, er lügt“, log Fabian. „Eine Geburt ist die schönste Sache der Welt, es ist wie Kindergeburtstag mit den Teletubbies auf einer Waldlichtung. Komm jetzt.“
Die Wohnung war komisch geschnitten, man konnte s e hen, dass das alles mal ganz anders gedacht gewesen war, nämlich größer. Die jetzigen zwei Zimmer, die von einem schmalen Gang zusammengehalten wurden, sowie das winz i ge Bad und die kleine Küche, waren früher sicher nur eine ha l be Wohnung gewesen. Die wohlhabenden Bürger, die vor dem Krieg hier gelebt und im Schweiße ihres Angesichts bei Deu t sche Bank, Commerzbank, Allianz oder Dresdner Bank g e schuftet hatten , hatten nicht nur mit ihren Familien hier g e lebt , sondern auch das Dienstmädchen hatte seine Kammer gehabt. Inzwischen waren die Geldhäuser woanders, und ihre Erben schauten missgünstig nach Berlin und ärgerten sich, dass sie dieser
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