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Jagablut

Jagablut

Titel: Jagablut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ines Eberl
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von
Kindesbeinen an. Auch Matthias Holzinger war sich offenbar so sicher, dass sein
Freund nicht verunglückt war, dass er die Bergrettung nicht verständigt hatte. Und wenn einer wagt, nach ihr zu
greifen, dann schleudert s’ ihn hinab. In den tiefen Abgrund.
    »Fahren wir«, sagte Viktor und riss die Tür auf.
    Ich drehte mich zu dem dunklen Korridor um, an dessen Ende, jetzt
unsichtbar, das Reh auf den nächsten Schützen wartete. »Wohin denn?«, wollte
ich wissen.
    »Zum Jagawirt. Wohin sonst?«

ACHT
    Die Raben in der alten Linde hatten sich zu unserem Empfang
besonders zahlreich versammelt. In kleinen Gruppen, zu zweit und zu dritt,
bevölkerten sie den Baum und hockten regungslos auf den kahlen Zweigen.
    Eine Kette der schwarzen Vögel saß auf einem hoch gelegenen Ast, der im
rechten Winkel abstand, Galgenvögel die gierig auf ein Ereignis warteten, das
ihren Hunger oder zumindest ihre Neugier befriedigen würde.
    Wie in einer einstudierten Choreografie richteten alle ihre Schnäbel auf
uns, als Viktor und ich, gefolgt von Matthias Holzinger in einem leicht
ramponierten Jeep, vor dem Jagawirt vorfuhren. Der alte Puch G des Wirtes
parkte, wie schon die ganze Woche, neben der Eingangstreppe.
    Inzwischen hatten wir beschlossen, erst im Gasthof Nachschau zu halten,
bevor wir irgendwen alarmierten. Vielleicht war Vinzenz Steiner ja jetzt zu
Hause. Oder er hatte einmal mit seiner Gewohnheit gebrochen und über seine
Pläne geredet, und jemand im Jagawirt wusste, wo er steckte.
    Die Tür zur Wohnung des Wirtes war wie erwartet verschlossen. Ich klopfte
mehrmals und rief Steiners Namen. Nichts rührte sich. Nur ein dünner Luftzug
strich unter der Tür hervor und umspielte meine Fußknöchel. Ich ging in die
Hocke und legte meine Hand auf den Boden. Es zog sogar ordentlich. In der
Wohnung musste es eiskalt sein.
    Ich stand auf und rieb meine Handflächen aneinander, um den Staub
abzustreifen. »Ich denke, er ist verreist«, sagte ich zu den Männern. »Und er
hat vorher die Heizung abgestellt.«
    Dieses Verhalten sah mir ganz nach unserem Wirt aus. Auch wenn ich nicht
am ersten Abend den Streit um Geld mit seiner Tochter gehört hätte –
Vinzenz Steiner stand der Geiz ins Gesicht geschrieben.
    »Ich weiß nicht.« Viktor zog die Brauen zusammen. Er hatte die Hände in
die Taschen seiner Daunenweste gesteckt. »Steiner ist noch nie im Leben
verreist. Oder, Holzinger?«
    Holzinger verzog das Gesicht. »Wüsst nicht, wohin.«
    »Na gut.« Ich hatte nicht die mindeste Lust, den Tag mit der Suche nach
einem Mann zu beschließen, der alt genug war, um eigene Entscheidungen zu
treffen und niemandem Rechenschaft über seinen Aufenthaltsort schuldig war. Bis
vor einer Stunde hatte ihn auch niemand vermisst. »Wir können ja zur Sicherheit
noch im Haus fragen, ob jemand den Wirt gesehen hat, oder weiß, wohin er
gefahren ist.« Insgeheim war ich davon überzeugt, dass sich die Sache bald
aufklären würde.
    Zu dritt begaben wir uns auf den Rundgang. Außer mir wohnte nur Georg Kaml
im ersten Stock. Wie nicht anders zu erwarten, war er zu dieser Tageszeit nicht
in seinem Zimmer. Schließlich war er der Hausmeister und ständig unterwegs. Wir
stiegen also in den zweiten Stock hinauf, wo in einem Zimmer eine
Fußballübertragung im Fernsehen lief.
    Viktor klopfte an die Tür, und die Lautstärke wurde ein wenig
heruntergestellt. Der dicke Mann, den ich vom Frühstück kannte, öffnete uns. Er
trug einen verwaschenen Trainingsanzug und Hauspantoffeln und stank nach
Alkohol.
    Im Hintergrund des schummerigen Zimmers konnte ich eine alte Frau erkennen,
die in einem Sessel vor dem Fernseher saß und über die Schulter zu uns
herüberspähte.
    »Servus, Johannes«, sagte Viktor. »Grüß Gott, Frau Stallner.«
    Johannes brummte etwas und schob die Hände in die Taschen seiner
ausgebeulten Hose. Ein Netz bläulicher Adern zog sich über seine gerötete
Gesichtshaut, und die grobporige Nase war knubbelig verformt. Das Bild eines
Alkoholikers. Die alte Frau im Sessel war anscheinend seine Mutter.
    »Wir suchen den Wirt«, sagte Viktor. »Weißt du, wo der stecken könnte?«
    »Ich?« Johannes Stallner glotzte uns an.
»Wieso ich?«
    Seine Begriffsstutzigkeit ging mir auf die Nerven. »Also, haben Sie Herrn
Steiner in den letzten Tagen gesehen?« Ich hatte das Gefühl, gegen eine Wand zu
reden. Waren die Stallners etwa auch Dauergäste im Jagawirt? Und wenn ja, wie
konnten sie sich das leisten? »Könnten Sie sich vorstellen, wohin

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