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Jagablut

Jagablut

Titel: Jagablut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ines Eberl
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rasch zurück und postierte sich neben der Tür. Sein Gesicht war
gerötet. Feine Schweißperlen bedeckten seine Stirn. Offenbar wartete er darauf,
dass einer von uns die Initiative ergriff. Sein Blick war gesenkt, und seine
Pranken hingen untätig herab. Auf einmal wirkte er nicht mehr wie ein wachsamer
Zerberus, sondern eher wie ein verzweifelter Rottweiler, der weiß, dass er den
Zorn seines Herrn erregt hat und dafür eine harte Strafe erwartet.
    Viktor stieß die Tür auf. »Also, schauen wir mal«, sagte er. Ein Windstoß
fuhr uns aus der Wohnung entgegen, und irgendwo klappte ein Fensterflügel.
»Herrgott, ist das kalt hier. Da ist irgendwo was offen.«
    Holzinger wandte sich ab und hielt sich hustend die Hand vor den Mund.
»Geht’s ihr schon vor.« Er schien kurz vor einem Asthmaanfall zu stehen.
    Ich wollte zu ihm gehen, aber er winkte nur ab. »Passt schon, ich komm
gleich nach.« Er griff in die Jackentasche und zog einen Inhalator hervor.
    Widerstrebend ließ ich ihn bei Kaml zurück und folgte Viktor in die
Wohnung.
    Im Flur herrschte ein diffuses Halbdunkel. Licht und Schatten bildeten
ein Labyrinth aus hellen und dunklen Streifen, die sich auf dem Teppich
kreuzten und ein Spinnennetz auf die Bauerntruhe zeichneten. Ein Stuhl lag quer
vor einer Zimmertür, die im kalten Zug hin und her schwang und dabei eine
breite Lichtbahn einfallen ließ, in der Staubkörnchen wirbelten. Die Trophäen
über unseren Köpfen warfen bizarre Scherenschnitte an die Wände. In den Ecken
des Raumes hockten Schatten. Ein paar Zettel auf der Truhe bewegten sich im
Luftzug.
    Ich drückte die Wohnungstür ins Schloss. Sofort fiel mir der faulige
Geruch auf, der in den letzten Tagen auch in der Halle zu spüren gewesen war.
Wenn das Fenster nicht offen gestanden hätte, wäre er unerträglich gewesen.
    Viktor schnupperte. »Wonach riecht das hier?« Seine Stimme klang
zögerlich, aber nicht wirklich unsicher. »Nein, oder?«
    Ehe ich etwas erwidern konnte, stieg er über den umgefallenen Stuhl und
stieß die Tür ganz auf. Mit einem scharfen Geräusch sog er den Atem ein.
    »Oh Gott …« Er stützte die Hände in Schulterhöhe auf den Türrahmen,
wie um Halt zu suchen. »Bleib ja draußen.« Sein Körper bildete ein dunkles
Kreuz vor dem hellen Hintergrund des Zimmers. »Das darf nicht wahr sein.«
    Ich packte den Stuhl an einem Bein und zog ihn beiseite. Dann stellte ich
mich hinter Viktor und spähte über seine Schulter.
    Trophäen und Fotos in schmalen Holzrahmen hingen an den Wänden. Neben
einem grünen Kachelofen stand eine durchgesessene Sitzgarnitur aus den
Sechzigerjahren. Tageszeitungen und Jagdzeitschriften stapelten sich auf dem
niedrigen Couchtisch. Darauf lag eine Lesebrille. Ein Schreibtisch mit Papieren
und offenen Aktenordnern und ein hoher grüner Metallschrank nahmen die andere
Seite des Zimmers ein. Eines der beiden Holzsprossenfenster stand einen Spalt
offen, der mit Weinblättern bedruckte Vorhang bewegte sich im Wind. Ich stellte
mich auf die Zehenspitzen und schaute auf den Boden.
    Vinzenz Steiner lag auf dem Rücken. Er hatte keine Schuhe an, sondern nur
grüne Stutzen und die Kniebundhose aus Loden, die er gewöhnlich zur Jagd trug.
Sein rechtes Bein war abgewinkelt, als hätte er es im Todeskampf angezogen.
Seine Hände hatten sich in das grüne Leinenhemd gekrallt. Zwischen den von
gestocktem Blut steifen Stofffalten erkannte ich den rauen Horngriff eines
Jagdmessers. Es steckte bis zum Heft in der Brust. Wenn die Klinge die Hauptschlagader
direkt getroffen hatte, musste Vinzenz Steiner binnen Kurzem bewusstlos
geworden und innerlich verblutet sein. Doch das Entsetzliche – das,
weshalb Viktor nach Luft geschnappt hatte, und was mein Inneres zu Eis
gefrieren ließ – war der Anblick seines Kopfes.
    Im Tode schien sich der Jäger in ein Wesen aus Mensch und Tier verwandelt
zu haben. Sein Gesicht wurde von einem barocken schwarzen Holzbrett verdeckt.
Auf diesem Brett saß, in ewiger Schönheit erstarrt, das ausgestopfte Haupt
einer Gams. Das weiße Fell des Tieres schimmerte seidig, die Spitzen der
gekrümmten Hörner zeigten auf den Scheitel des Toten, und die vorquellenden
Glasaugen starrten blicklos zur Decke empor.
    Aus dieser Entfernung konnte ich die Buchstaben nicht lesen, doch ich
wusste auch so, wie die Inschrift am unteren Rand des Brettes lautete:
»Geieralm 1968«.
     

NEUN
    Der Himmel strahlte in einem unnatürlichen Blau. Scharf
gesäumte Wolken fegten darüber hin. Die Berge,

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