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Jagablut

Jagablut

Titel: Jagablut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ines Eberl
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Unterlagen überquoll. Verbarg
sich in diesem Chaos etwas, auf das ich früher oder später stoßen musste? Oder
glaubte der Täter am Ende, ich hätte bereits etwas gefunden?
    »Und wenn es was mit meinem Vorgänger zu tun hat? Es könnte doch irgendwelche
belastenden Aufzeichnungen geben, über … über Dorfgeheimnisse zum
Beispiel.«
    Viktor starrte mich an. »Was für Dorfgeheimnisse denn?«
    »Eine falsche Vaterschaft zum Beispiel«, sagte ich. »Laut Statistik ist
jedes dritte Kind ein Kuckuckskind. Vielleicht wollte Mooslechner eine Frau
schützen, und ein Mann hat jahrelang zu Unrecht Unterhalt gezahlt. Oder ein
alter Mensch ist ganz unerwartet zu Hause gestorben.« Ein Familienarzt forderte
keine Obduktion. Nicht, wenn er seine Patienten im Ort behalten wollte. Es
waren schon Leichen beim Bestatter gelandet, in deren Rücken noch das Messer
steckte. »Erklär mal den trauernden Angehörigen, dass du jetzt die Oma nackt
ausziehen und untersuchen willst, weil du die Todesumstände irgendwie
verdächtig findest.« Natürlich ging es immer ums Geld.
    Ein dicker Mann in grauer Lodenjoppe gesellte sich zu den Zuschauern
hinter der Scheibe. Einer der beiden deutete mit dem Kinn in meine Richtung und
schien den Neuankömmling über mich aufzuklären. Der Dicke blieb bei den anderen
stehen.
    Viktor kniff die Augen zusammen und fixierte das Reh am Ende des Tunnels.
»Das sind zweihundert Meter Entfernung«, sagte er. »Darauf sollte die Waffe
eingeschossen sein. Das heißt, wenn ich mitten draufhalte, verläuft die
Flugbahn der Kugel so, dass ich genau ins Zentrum treffe.«
    Er nahm einen Gehörschutz, reichte ihn mir und setzte sich selbst einen
auf. Dann schob er den Lauf noch ein wenig weiter nach vorne. Er presste das
rechte Auge ans Zielfernrohr und legte sich über das Gewehr. Waffe und Mann
schienen miteinander zu verschmelzen.
    Plötzlich blendete mich ein Feuerstoß. Der nachfolgende Knall war so
laut, dass ich trotz meines Ohrschutzes zusammenfuhr. Schwefelgestank breitete
sich aus. Viktor rührte sich nicht. Sekundenlang schaute er der Kugel nach. Ich
wollte ihm schon auf die Schulter tippen, als er sich langsam aufrichtete, den
Gehörschutz abnahm und auf den Knopf des grauen Kastens drückte. Eine Zehn
leuchtete auf, daneben stand ein schwarzer Punkt. Ich zog mir meinen Schutz von
den Ohren.
    »Und?«, fragte ich.
    »Genau in die Mitte, besser geht’s nicht.« Er drehte sich zu den
Zuschauern hinter dem Fenster um und reckte den Daumen nach oben. Vom Lachen
und Applaus der drei Männer drang kein Laut zu uns. Viktor hantierte mit dem
Hebel am Gewehr. Aus einer Kammer sprang eine leere Patronenhülse, die er
geschickt mit einer Hand auffing und in einen weißen Plastikeimer unter der
Ablage warf.
    »Kannst du dich an zweifelhafte Fälle in Mooslechners Praxis erinnern?«,
fragte ich. »Falsche Diagnosen? Ungeklärte Todesfälle?«
    »Beim Adi?« Viktor lachte. »Nein. Aber wissen kann man’s nie. Und wie
meine Großmutter immer sagte – wenn Gott mit dem Tod kommt, naht der
Teufel mit den Erben.«
    »Sehr witzig.« Der Schwefelrauch brannte in meinen Augen. »Dann werde ich
mich selbst mal ein wenig umhören.«
    »Umhören? Wozu?«
    »Vielleicht, weil mir eine Beule am Kopf reicht?«
    »Du meinst, er wird es wieder versuchen?« Viktor legte eine neue Patrone
ein.
    Ich zuckte die Schultern. »Bis jetzt hat der Täter sein Ziel ja nicht
erreicht, oder? Aus meinem Zimmer fehlt nichts, und ich bin auch noch am Leben.
Ich muss ihn finden, sonst versucht er es wieder. Und dann vielleicht mit mehr
Erfolg.«
    Viktor warf mir einen scharfen Blick zu. »Mach’s nicht schlimmer, als es
ist. Auch moderne Dorfgemeinschaften mögen keine Einmischung von außen.
Gerüchte kann hier im Ort keiner gebrauchen.«
    Ich spürte, wie eine Hitze mein Gesicht überzog. »Hier geht’s schließlich
um mein Leben. Und was deine moderne Dorfgemeinschaft betrifft – weißt du
eigentlich, dass mir einer meiner Patienten erklärt hat, dass Hundefleisch gut
gegen Bronchitis ist? Besser als Antibiotika. Was sagst du als Tierarzt dazu?«
    Viktor zögerte mit seiner Antwort. Dann sagte er: »Unsinn.«
    »Nein, wirklich …«
    »Quatsch, da hat man dich auf den Arm genommen.« Er schüttelte den Kopf.
»Heute ist jeder Hund mindestens einmal geimpft, entwurmt und gegen Zecken
behandelt. Den kann man nicht mehr essen, der ist … Sondermüll.« Viktor
nahm das Gewehr und richtete den Lauf wieder auf das Reh.
    Die Tür ging auf,

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