Jagablut
es mir nicht verwunderlich.
»Ich glaube, mehr können wir jetzt nicht tun.« Ich hatte mich schon genug
in Steiners Angelegenheiten eingemischt. »Wenn Sie sich wirklich Sorgen um
Ihren Freund machen, Herr Holzinger, sollten Sie eine Vermisstenanzeige
aufgeben.« Vielleicht würden die beiden Dorfpolizisten angesichts des Verschwindens
eines angesehenen Alpbachers ja mehr Arbeitseifer an den Tag legen als bei
meinem Überfall.
»Gute Idee«, sagte Viktor. »Aber zuerst werfen wir noch einen Blick in
seine Wohnung. Vielleicht gibt’s ja einen Terminkalender oder eine Telefonnotiz
oder so.« Er schaute Holzinger an. »Oder, was meinst du?«
Holzinger hatte die Hände über dem Bauch gefaltet, als wollte er beten.
»Dem Vinzenz is’ was zugestoßen«, brummte er. »Jetzt weiß ich es genau.«
Ich fing einen genervten Blick von Viktor auf.
»Wer kann uns die Wohnung aufsperren?«, fragte er.
»Der Hausmeister«, sagte ich. »Georg Kaml.« Mir war nicht wohl bei dem
Gedanken, in Steiners Privaträume einzudringen. »Warum rufen wir nicht einfach
die Polizei?«
Damit hatte ich wohl zu viel weibliche Zweifel an den Fähigkeiten oder
der Lösungskompetenz der beiden Männer geäußert, denn sie machten sich, ohne
mich eines weiteren Wortes zu würdigen, auf die Suche nach dem Hausmeister.
Es erforderte einige Nachforschungen, um Georg Kaml aufzutreiben.
Wetti, die uns auch nichts über den Verbleib ihres Chefs sagen konnte,
fand ihn schließlich hinter dem Haus. Er sortierte gebrauchtes Handwerkszeug in
Holzkisten. Sein blauer Arbeitsoverall war staubbedeckt, und in seinen Haaren
hingen Spinnweben. Er hatte den Nachmittag mit dem Entrümpeln eines
Abstellraums verbracht und reagierte höchst überrascht auf unsere Suchaktion.
Den Wirt hatte er noch gar nicht vermisst und zweifelte auch an dessen Verschwinden.
Viktor bat ihn, Steiners Wohnung mit dem Zentralschlüssel zu öffnen.
»Nie und nimmer«, sagte Kaml und wedelte mit einer Säge, deren schartiges
Blatt mit Rost überkrustet war. Der Gedanke, ungebeten Steiners Reich zu
betreten, war ihm eindeutig sehr unangenehm. »Der schmeißt mich raus.«
Viktor streckte die Hand aus. »Dann gibst halt mir den Schlüssel.«
Kaml ignorierte die Geste. Ein Muskel auf seiner rechten Wange zuckte.
Sein Blick glitt von Viktor zu mir und blieb schließlich an Holzinger hängen.
Viktor tappte mit dem Fuß auf den Boden. »Na los, Schorsch, ich hab nicht
den ganzen Tag Zeit.«
Aber Kamls Entschluss stand fest. »Nein.« Er wandte sich ab und warf die
Säge zu einem Haufen alter Messer in eine der Kisten. »Mein letztes Wort. Und
jetzt verschwind, ich hab zu tun.« Er bückte sich nach einer verbogenen
Eisenkette, die auf dem Schrotthaufen zu seinen Füßen lag.
»Wie du meinst.« Viktor drehte sich zu Holzinger um. »Rufst eben doch die
Polizei. Die brechen die Tür auf.«
Kaml hob rasch den Kopf. »Spinnst?«
Viktor zuckte die Schultern. »Ich sag dem Vinzenz einfach, dass du nicht
aufsperren wolltest. Die kaputte Tür kannst du ihm ja dann erklären.« Er drehte
sich um und machte Anstalten, zum Haus zurückzugehen.
Kaml reckte den Kopf vor. Seine Faust schloss sich um die dicken Glieder
der Eisenkette, und eine dunkle Röte überzog sein Gesicht. Wieder fielen mir
seine kräftigen Hände und die breiten Schultern auf. Jetzt bebten sie vor
unterdrückter Kraft und mühsam beherrschtem Ärger. Seine Halsschlagader
pulsierte. Schorsch, setz deinen lahmen Arsch in Bewegung. Du fährst jetzt gleich zum
Thurner Viktor. Mit diesen Worten hatte Steiner ihn am Abend meiner Ankunft
aus dem wohlverdienten Feierabend befohlen. Und er war ohne Widerspruch
losgefahren. Wenn er jetzt Steiners Wohnung aufschloss, verletzte er das
Vertrauen seines Herrn. Tat er es nicht, wurden seine Probleme womöglich noch
größer. Viktor hatte bereits ein paar Schritte zum Haus gemacht. Kaml richtete
sich auf. Die Kette fiel klirrend auf den Schrotthaufen zurück.
»Na gut.« Kaml wischte sich die braun verfärbten Handflächen an seinem
Overall ab. »Aber auf deine alleinige Verantwortung.«
Viktor wandte sich um und nickte.
»Also, gemma.«
Vinzenz Steiners Wohnung war nicht, wie in einem Gasthof zu erwarten, mit
einem normalen Zimmerschlüssel zu öffnen, sondern durch ein Zylinderschloss
gesichert. Der Wirt hatte es offenbar für nötig befunden, sich gegen
Eindringlinge im eigenen Haus zu schützen.
Kaml drehte den Schlüssel im Schloss, fasste die Klinke aber nicht an.
Dann trat er
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