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Jagdopfer

Jagdopfer

Titel: Jagdopfer Kostenlos Bücher Online Lesen
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geschossen!«
    »Und das war gnädig. Wenn du versuchst aufzustehen, schieß ich wieder.«
    Joe nahm Waceys Pistole vom Boden und steckte sie in seinen Gurt. Er ging zur Veranda und hockte sich auf die Fliesen. Wacey lehnte mit dem Rücken an der Tür. Mit dem unverletzten Arm presste er ein Bein an seinen Oberkörper. Der andere Arm hing wie ein gebrochener Flügel herab. Waceys Augen waren weit aufgerissen, sein Mund schien merkwürdig starr. Wie ein Knoten aus Wachs.
    »Hörst du mich, Wacey?«, fragte Joe.
    Der ächzte und nickte unter Schmerzen.
    »Wacey - es gibt nur einen Grund, warum ich dich nicht erschossen habe. Verstehst du, was ich sage? Ich will, dass du darüber nachdenken kannst, was du meiner Familie, mir und den Ausrüstern angetan hast. Und dem Ruf der Jagdaufseher von Wyoming.«
    »Hol einen Krankenwagen!«, zischte Wacey durch seine klappernden Zähne. »Ich verblute!«
    »Verstehst du, was ich sage?«, wiederholte Joe ruhig.

    »Ja, du verdammter Kerl!« stieß Wacey hervor. Er zitterte heftig.
    »Nein«, sagte Joe und erhob sich. »Der Verdammte bist du. Und mit Vern Dunnegan sollst du in der Hölle schmoren.«
    Joe nahm Sheridan in den Arm und trug sie ums Haus und durch den Vorgarten zur Bighorn Road. Beim Eingangstor setzte er sie ab.
    »Sieh mal, Dad.« Sie zeigte die Straße runter Richtung Saddlestring.
    Evelyn hatte Wort gehalten und den Sheriff alarmiert. Barnum raste an der Spitze einer Kolonne mit Blaulicht und Sirene heran.
    Joe lehnte seine Schrotflinte an den Zaun und trat auf die Schotterpiste. Sheridan blieb bei ihm. Wie sein Schatten. Sie wird noch sehr lange mein Schatten sein, dachte er.

Siebenter Teil
    Wildnis ist das Material, aus dem der Mensch gewaltsam das Artefakt namens Zivilisation geschaffen hat.
     
    Niemand wird mehr die weite Grasprärie erblicken, wo die Steigbügel des Pioniers durch ein Blumenmeer glitten.
     
    Niemand wird mehr die unberührten Kiefernwälder an den Großen Seen erblicken, die Wälder der Küstenebenen oder die riesigen Hartholzwälder.
     
    Aldo Leopold: A SAND COUNTY ALMANAC, 1948

Epilog
    Es war Frühling - oder doch das, was man in Wyoming als Frühling bezeichnet; zumal es eigentlich nur drei Jahreszeiten gibt, die einander überlappen: Sommer, Herbst und Winter. Frühling - so was findet woanders statt. Dort, wo im Mai Blumen aus dem Boden schießen, wenn es warm wird. Wo Hartholzbäume knospen und sich begrünen. Wo Blüten in den Himmel treiben, als wollten sie sich der Sonne opfern. Wo es unwahrscheinlich ist, dass alle Blumen und das junge Laub unter fünfundzwanzig Zentimeter schwerem, nassem Schnee begraben werden, der die ganze Flora ringsum absterben lässt.
    Joe fuhr durch den Schneematsch vom befestigten Zeltplatz am Crazy Woman Creek nach Hause und dachte daran, dass er in den Rocky Mountains noch nie einen richtigen Frühling erlebt hatte und sich nicht wirklich bewusst war, was er bedeutete.
    Für ihn und das Hochwild, für das er die Verantwortung trug, war der Frühling eine besonders grausame Laune der Natur - eine Jahreszeit, die alles Lebendige daran erinnern sollte, dass nur weniges so war, wie es schien, und dass die Geschöpfe keinen wirklichen Einfluss auf den Lauf der Welt hatten, egal, wie gut ausgebildet, technologisch fortgeschritten oder instinktsicher sie geworden waren. Es war eine Jahreszeit, die daran erinnern sollte, dass man nichts für sicher halten durfte.

    Bei Tagesanbruch glitt Joe so leise wie möglich ins Haus, zog in der Arbeitsumkleide die Winterschuhe aus und schlüpfte in die Filzpantoffeln, hängte seinen Parka, die verdreckte Jeans und das rote Hemd an die Garderobe und streifte sich seinen Hausmantel über. Den Stetson warf er auf die Ablage.
    Heute war Sonntag, und er kannte seine Aufgabe: Pfannkuchen backen.
    Nach einem Handyanruf vom Zeltplatz war Joe in aller Herrgottsfrühe aufgebrochen. Mitglieder einer Umweltschutzorganisation hatten ihm in Panik berichtet, ein »Schwarzbär oder Grizzly, der voll unter Strom steht«, streiche um ihre Zelte herum. Kaum im Lager angekommen, stellte Joe fest, dass der Bär in Wirklichkeit ein Elch und dieser Elch auch noch verschwunden war. Die Umweltschützer waren unzufrieden mit seiner Diagnose und versuchten, ihn zu überzeugen, die Schnüffelgeräusche um ihre Kuppelzelte bedeuteten Gefahr und nicht bloß Neugier. Aber Joe zeigte ihnen mit der Taschenlampe die Hufspuren des Elchs und einen noch dampfenden Haufen, den das Tier neben der Feuerstelle

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