Jahrestage 1: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl
Menschen mehr, mit dem ihm Heirat oder außerehelicher Beischlaf erlaubt gewesen wäre, und die deutsche Reichsbürgerschaft war ihm auch abgenommen. Dafür hatte er aber das Recht, die jüdischen Farben an seinem Mast aufzuziehen, und die Stadtpolizei hätte diese Fahne vor Beschädigung und Schändung schützen müssen. Arthur brachte es einfach nicht fertig, wegzugehen aus einem Lande, in dem alle so sprachen wie er, wenn sie auch in Manchem anders dachten.
Und Peter Niebuhr diente in der Unteroffiziersschule Eiche bei Potsdam und war in der Kommunistischen Partei von Berlin-Friedenau gewesen. Wollte er sich dafür rächen, daß der Genosse Stalin nun auch seinen toten Freund Kirow hatte, wie Hitler seinen Röhm, und den Putsch etwas langsamer aufdröselte und in einem fort zerschlug? War es ihm jetzt nicht recht, daß endlich auch die U. S. A. diplomatische Beziehungen mit dem Staate Stalins aufgenommen hatte, daß er unter diesen Umständen gegen die Stimme der Schweiz in den Völkerbund gekommen war? Die Verwandtschaft verstand Peter nicht. Seit Peter zum Studieren nach Berlin gegangen war, war er schwer zu verstehen gewesen.
Und selbst Martin Niebuhr sah nun ein, daß das Wasserstraßenamt ihm niemals etwas Größeres geben würde als die Schleuse bei Wendisch Burg. Und Gertrud Niebuhr hätte gern ein Kind adoptiert, wenigstens. Und Lisbeth hatte ihr versprechen müssen, auf nicht weniger als zwei Wochen in jedem Jahr zu Besuch auf die Schleuse zu kommen, mit diesem Kind Gesine. Und Horst Papenbrock war nicht nur zurückgekommen aus »Rio de Janeiro«, er hatte auch seinen Bruder Robert mitgebracht. Von Robert sah Jerichow wenig, der wohnte längst in Schwerin. Und immer noch war wenig Militär in Jerichow zu sehen, aber Pahl kam gut aus mit seinen Offiziersuniformen nach Maß. Das Handwerk klagte etwas heftiger und kam gut aus. Sogar aus Alexander Paepcke hatte die aufgeregte Nachfrage nach Baumaterial für Jerichow Nord einen Geschäftsmann gemacht, der verbrachte die Tage auf dem Ziegeleihof und im Büro und nicht auf dem gneezer Tennisplatz. Und die Paepckes hatten im August 1935 ihr zweites Kind, einen Jungen, Eberhardt Paepcke, Paepcke junior. Und die Ziegelei war immer noch nicht abgebrannt. Und einzig Methfessel hatte sich nicht gefangen. Methfessel hatte übergeben müssen, an seinen ältesten Gesellen, seine Söhne waren noch Kinder. Es war eine Schande zu sehen, wie der schwere kräftige Mann die Straßen von Jerichow trat und nach Kindern suchte und sie fragen wollte: Möchtest du ein Löwe sein? daß ich nicht lila lache! Und Dr. Avenarius Kollmorgen hatte seine Praxis aufgelöst und zeigte sich selten außer Hauses und fragte nur noch ganz wenige Leute, ob sie gut bei Sach seien. Und aus Dr. Hauschildt war ein nahezu tüchtiger Tierarzt geworden, seit ihm auf die Finger gesehen wurde. Und Methling hatte sich hingelegt in Gneez und war gestorben, nachdem er das Seine getan hatte für Rasse und Reich und wollte in Jerichow bestattet werden und hatte es tatsächlich geschafft, den Landesbischof Schultz zur Veranstaltung einer mehr nationalen Zeremonie zu verpflichten. Und auf dem Sarg lag eine Fahne mit dem Hakenkreuz, und sechs Männer der S. A. trugen ihn aus der Petrikirche, und die Schulkinder bekamen frei, damit sie singen konnten. Dr. Berling hatte in Schweden lebende Verwandte gefunden, als er dort nach seiner arischen Abstammung suchte, und verbrachte seine Urlaube nun in Schonen. Swenson hatte nun zwei Taxis laufen und unterhielt eine Omnibuslinie vom jerichower Bahnhof nach Jerichow Nord und kämpfte gegen die Deutsche Reichspost um die Konzession für einen Linienverkehr nach Rande. Erich Schulz war nicht zurückgekommen nach Jerichow-Ausbau; es hieß, er sei bei der Marine. Die Plessens und die Bothmers und Konsorten hatten sich mitsamt ihren Reitervereinen in die S. S. übernehmen lassen. Und Friedrich Jansen war nun fast zwei Jahre Bürgermeister und Ortsgruppenleiter der N. S. D. A. P. in Jerichow und hatte gelernt, auf Kleineschulte und den alten Papenbrock zu hören. Es gab immer noch ein paar, mit denen wurde er nicht fertig. Das Musikhaus Johs. Schmidt verlangte immer noch Geld, wenn die Partei Lautsprecher anforderte für nationale und nationalsozialistische Veranstaltungen; die würden es noch lernen. Ein anderer war dieser Engländer, dieser Heinrich Cresspahl hinter der Kirche. Kam der Mensch aufs Rathaus und verlangte einen Aufnahmeantrag für die Partei und brachte
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