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Jahrestage 2: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)

Jahrestage 2: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)

Titel: Jahrestage 2: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl (suhrkamp taschenbuch) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Johnson
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Arthur bekommt noch einmal das Versprechen, daß er seine ganze Familie »mal im Sommer« in die Baseball-Loge der Bank ausführen darf.
     
    – War es nicht ein wunderbarer Nachmittag, Mrs. Cresspahl: sagt de Rosny auffordernd.
    – Oh gewiß: sagt die Angestellte Cresspahl.
    Gefällt dir das Land nicht, Gesine? Solche Nachmittage in der Fremde?
    Das möchtet ihr wohl.
    Gefällt dir das Land nicht, such dir ein anderes.

19. April, 1968 Freitag
    »Die Mets von New York haben gestern Willie Mays noch einmal eine Chance gegeben mit besetzten Malen«: sagt die New York Times: »und das war ein Fehler«. Jawohl. Fünf zu drei. Das war ein Fehler.
    Verbindlichen Dank, Tante Times.
    Kein Heimweh.
    Es gibt Aufwachen mit Schreck in den Nerven, das will das dicke graue Licht vor den Fensterquadraten nicht erkennen, sucht andere Fenster; noch die Aprilfarben scheinen nicht richtig, das Morgenblau der Pallisaden, der von Wolken verdüsterte Fluß, die harten Platanenstämme im schwächlichen Parkgrün. Dann gleitet das hundertmal Gesehene doch über die Erwartung.
    Da sind Morgende, wenn das kochende Geglitzer der Sonne auf dem East River verschwindet im Schatten der Jalousie, so wird Long Island zu einer anderen Insel. Der Schmutzdunst macht aus dem Gedränge der Häuser in Queens eine weiche schwingende Landschaft, Waldwiesen und Durchblicke auf einen Bischofsmützenturm wie ich ihn einmal sah von der See her beim Halsen des Bootes, zugestellt von Bodenfalten und endlich zum Hingehen nahe über der Steilküste.
    Dahin will ich nicht zurück. Ich habe gelebt in Jerichow, Mecklenburg, Sachsen, Frankfurt, Düsseldorf, Berlin. Da sind die Gegenden übrig, nicht die Toten, Cresspahl, Jakob, Marie Abs. Sie, die ich war.
    Neun Stunden noch, noch ein Tag vor der brummenden hackenden Maschine, vor einem schräg einfallenden Lichtkeil, der die Stimmen der anderen und die mechanischen Geräusche und meine Stimme in eine graue Dämmerung wickelt, die viele Häute haben wird gegen Mittag.
    Dann wird Marie auf dem Broadway stehen an der 108. Straße, neben dem Wagen, den sie ausgesucht hat für die Reise »nach Amerika«. Eine Bedingung hat sie gestellt: es soll kein Auto vom Typ Mustang sein.
    Dann werden wir uns begrüßen wie die Fremden, und sie wird mich absuchen nach den Spuren der Arbeit, mir folgen mit den Augen, umsichtig, heimlich heiter, fürsorglich. Als dürfe sie einen Schützling nicht allein lassen.
    Sie nennt es so: I am keeping a watch on you.
    – Ick häud. Ich hüte: wie Cresspahl sagen konnte auf Befragen nach solcher Tätigkeit. Ich war noch lange Zeit ein Kind, und so sagte es noch Jakob.

Anhang
    [Dieser Anhang wurde 1971 am Ende von
Jahrestage 2. Aus dem Leben von Gesine Cresspahl
zuerst publiziert.]

MIT DEN AUGEN CRESSPAHLS
    Auskünfte, gegeben unter den Umständen des Jahres 1949, auf die Fragen einer Sechzehnjährigen. Er war 61 Jahre alt.
    Warum er, als Deutscher –
    Er begreife sich nicht als »Deutscher«. Er halte es mit denen in Mecklenburg, die von den »Preußen« sprächen; er habe auch schon vor den Aufenthalten in Holland und Großbritannien gedacht als an »de Dütschen«, die anderen. Er habe keine Lust, für die verantwortlich zu sein, weder für ihre Weltkriege noch für ihr Bild in der Welt. Kein Mal sei er von den Deutschen gefragt worden wegen der Gesetze, die sie über ihn verhängten. Was sie in seinem Namen aussprachen, es lasse sich auf Niederdeutsch gar nicht in Worte bringen. Auch nicht auf Niederländisch. Er habe seinen Anteil für das Leben in Deutschland jeweils pünktlich bezahlt, die Steuern wie die Abgabe für die Müllabfuhr; er komme sich nicht ordentlich bedient vor, nicht einmal dafür. Also habe er sich genötigt und frei gesehen, von Mal zu Mal selbst und für sich selbst zu entscheiden.
    Also als Mecklenburger.
    Eine Zeitlang. Als Sohn eines Stellmachers auf einem Gut an der Müritz, Mecklenburg. Als Kuhjunge, und dann doch Tischlerlehrling in Malchow, Mecklenburg. Schon nicht mehr beim Holsteinischen Artillerie-Regiment 24 zu Güstrow (2. Batterie), nicht als Unteroffizier an der Ostfront 1917, erst recht nicht 1920 im Soldatenrat zu Waren, an der Müritz, Mecklenburg, da es damals nicht um das Mecklenburgische an den Gutsbesitzern gegangen sei, sondern um ihre Hilfsstellung für den Putsch von Kapp und Lüttwitz. Danach, in den Niederlanden wie England, von außen gesehen: ein Deutscher, oder: ein Niederdeutscher, oder: Cresspahl.
    Warum er ins Ausland zum Leben

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