Jahrestage 2: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)
gegangen sei. Die Niederlande –
Der Grund sei lebendig gewesen, und habe einen Rock angehabt. Oder: er sei einmal ein Kunsttischler gewesen; auch wenn er bei den Deutschen die längere Zeit habe mit dem Beil arbeiten müssen.
Nach Amsterdam einem Mädchen zuliebe; nach England:
einem Mädchen zuliebe, 1925. Elizabeth. Weltkriegswitwe. Sehr jung. Vielleicht vermögend. MRS. ELIZABETH TROWBRIDGE . Beiden habe es nicht an einer Ehe gelegen, sondern an freiwilligem Zusammenkommen, gelegentlich und verabredet. Sie habe ihm geschäftlich geholfen, mit einem Darlehen; es sei pünktlich zum Termin zurückgezahlt worden. Leider sei der Termin übereingefallen mit seinem Entschluß, eine andere zu heiraten, doch eine aus der Müritzgegend; er wolle sich da mit Mißtrauen abfinden. Es sei Elizabeth gewesen, die für jeden das Recht auf ungehinderte Trennung einrichtete; nicht nur habe sie ihm ihren Wunsch nach etwas weniger Unabhängigkeit verschwiegen, auch ihre Schwangerschaft. Von dem Kind, geboren im Mai 1932, habe er erst ein Jahr später erfahren, gegen ihren Willen. HENRY TROWBRIDGE . Zusammen mit seiner Mutter am 14. November 1940 bei einem deutschen Bombenangriff auf die britischen Midlands umgekommen. Das sei womöglich eine falsche Nachricht; er habe sie mittlerweile zu lange für wahr halten müssen und wünsche sie nicht anders. Es werde Mrs. Trowbridge so recht sein.
Ob er nun nicht zurückgehen wolle nach England.
Auch später nicht.
Wegen der deutschen Bombardements?
Zweitens. Erstens, wegen der Erinnerung. Allein die Vorstellung eines Spaziergangs durch Richmond in London, sie stelle ihm seine Lage in den Jahren 1926 bis 1933 wieder her, zuviel Wiedererkennen neben dem erneuerten Bewußtsein von Verlusten. Übrigens sei ihm solche Empfindung bekannt aus dem Winter 1932, als er noch auf ein Bleiben in Richmond habe hoffen dürfen; für ihn sei da nichts neu zu lernen.
Seine Lage in Richmond-upon-Thames vor 1933.
Damals habe es anders geheißen; Richmond, Surrey. Am Bahnhof North Sheen standen Haus und Werkstatt von Pascal und Sohn, Kunsttischlerei, Aufarbeitung, Instandsetzung (auch Neuausführung). Die Firma war seit fünfzig Jahren eingeführt bei bürgerlichen und fürstlichen Dauerkunden, aber REGGIE PASCAL war der letzte, er hatte keinen Sohn und wollte das Geschäft der Innung von Richmond übermachen. Ein alter Mann, vielleicht mit wunderlichen Einfällen, jedoch entschieden, seinen Neffen Albert A. Gosling vom Erbe auszuschließen. Begraben auf dem Friedhof North Sheen. Diese Werkstatt wurde auf das Drängen von Dr. Arthur Salomon, in der Kanzlei Burse, Dunaway & Salomon, gegen das Urteil seiner Partner einem Meister deutscher Herkunft zur treuhänderischen Führung übergeben.
ARTHUR SALOMON .
Ein Jude. Er hatte auf der anderen Seite der Westfront gelegen, wie nur je einer von den langmütigen Leutnants der Reserve auf der deutschen Seite. Mit dem ließen sich nun Geländeskizzen aus dem Krieg zusammensetzen. Arthur Salomon war sich auf der Universität, in der Armee doch wie im Ausland vorgekommen, noch als Partner von Dunaway und Burse; er wollte diesem Deutschen aus »Michelinberg« vielleicht eine Chance zuschieben. Salomon half auch, indem er Reggies Neffen eine Art Hausverbot für die Werkstatt auferlegte und die Mühe eines geschäftlichen Umgangs mit Albert A. Gosling, Esq., auf sich nahm. Um 1931 war er längst eine Vertrauensperson, kam auch zu Besuch und Abendessen, der Frau Cresspahl zuliebe. Er besorgte Cresspahls persönliche Geschäfte bis zu seinem Tod 1946, insbesondere die Sache Trowbridge, obwohl sein Mandant nun wieder zu den Feinden gehörte.
Freunde in Richmond.
MR. SMITH . Vorname nicht bekannt. Tischler, Handelsmatrose, Schiffskoch, Oberbootsmann bei der Royal Navy im Krieg, Hartsäufer. Hätte er die Geduld zu einer Meisterprüfung aufgebracht, die Pascalsche Werkstatt wäre für ihn nicht zu viel geworden. Ein begabter Tischler. Half Cresspahl die Firma führen bis zum November 1933. Kam noch nach Deutschland vor dem zweiten Krieg. Der einzige in England, den Cresspahl nach 1945 hätte treffen mögen, ohne Sorge vor Befangenheit. Zufällig unter deutschen Bomben umgekommen, am Mecklenburgh Square in London, den er wohl zum ersten Mal in seinem Leben betrat. Begraben am 18. September 1940 in North Sheen.
ALBERT A. GOSLING .
Teilbesitzer eines Textilgeschäftes in Uxbridge, habe er nunmehr Iässiger leben können von den Erträgen aus Reggie Pascals Erbe. Anfangs
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