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Jahrestage 2: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)

Jahrestage 2: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)

Titel: Jahrestage 2: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl (suhrkamp taschenbuch) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Johnson
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und doch ist es nicht das Thema, das die Damen in der Sauna des Hotels Marseille bewegt. Schwitzend, schniefend, keuchend, keckernd hocken und liegen sie in der räucherig trockenen Luft, im halben Dunkel, und sprechen über die Vergewaltigungen, die zum Leben auf der Oberen Westseite von New York gehören. Der Ton ist sachlich, manchmal empört, fast nie schamhaft, obwohl Mrs. Cresspahl den meisten der nackten Frauen nicht einmal aus Blickbegegnungen bei Einkäufen am Broadway bekannt ist und nur mit Mrs. Blumenroth und einem Mädchen namens Marjorie eine Bekanntschaft unterhält. Vielleicht genügt es, daß diese Seite des Schwimmbades zuverlässig für Männer gesperrt ist. Es sind viele um die vierzig, haben zwei oder drei Kinder im Wasser nebenan schwimmen, hektische und zarte Stimmen, Bauchfalten oder unzerlaufene Taillen. Nur Marjorie ist siebzehn, groß gewachsen, die einzige mit einem noch vollkommenen Körper hier, und wird für älter gehalten. Als Mrs. Cresspahl sich in das ungewisse Licht hineinbückte, war die Rede eben bei der Polizei.
    Auf die Polizei! Zeitverschwendung.
    Nicht nur das. Wenn sie einem schon glauben, sie fragen nach der Größe, dann nach dem Gewicht, und von da haben sie es nicht weit.
    Ob das Gewicht angenehm gewesen sei. Ja! Ob ich gekommen wäre.
    Bei mir: ob er gekommen wäre.
    Das Revier schickte einen zur Besichtigung der Hintertreppe, wo es passiert ist. Der wollte einen Whisky angeboten. Genau! Und dann eine Verabredung zum Abendessen. Bei Ihnen auch?
    Als sie meinen hatten, ließen sie ihn laufen.
    Weil ein Mann nicht auf Grund einer unbestätigten Aussage des Opfers verurteilt werden darf. Artikel 130 Strafgesetzbuch.
    Des angeblichen Opfers, wenn es beliebt.
    Niemals ohne einen glaubwürdigen Zeugen auch nur den Anfang machen.
    Und weil ich meinen kannte aus der Zeit, als er mir noch die Tüten vom Supermarkt brachte, vergaß der Polizist es sofort. Machte sein Buch zu und vergaß es.
    Natürlich kenn ich den Klempner, den sie immerzu schicken.
    Klempner ist gut. Sie kommen aber auch als Telegrammboten.
    Als Zeitschriftenwerber!
    Recht traditionell sind sie. Das Messer nehmen sie wohl; von Rauschgift hört man da nichts.
    Stimmt.
    Ging hinter mir her vom Bus bis vor die Wohnungstür. Redete auf mich ein, alle hielten uns wohl für normal.
    Das hast du falsch gemacht. Schweigen ist auch gefährlich. Sie müssen sagen, sehr laut: Verscheiß dich!
    Dann schreit er etwas von einer Hure, die ihm längst nicht gut genug sei; es ist aber überstanden.
    Mit einer Hand am Hals nagelte er mich an die Wand, mit der anderen zog er sich die Hose auf. »Drei Nummern zu klein«.
    Das hätte ins Auge gehen können.
    Das ging es auch. Die Kratzer heilten drei Wochen nicht. Ich trage immer eine Polizeipfeife bei mir.
    Gaspistole. Pfeffersprühdose.
    Verboten. Das Mitführen einer versteckten Waffe ist verboten.
    Gilt wieder einmal nicht für den Mann.
    Entwaffnen. Kastration.
    Nein.
    Nein.
    Die Gesetze ändern.
    Ich hab eine Freundin, die lehrt Karate, und wenn jemand will, kann ich ihm erniedrigte Gebühren verschaffen, Karate!
    Das ist auch nichts.
    Erinnern Sie sich an die Sechzehnjährige, die vorige Woche in Bushwick von dreien entführt und vergewaltigt wurde? Davon war einer Polizeianwärter.
    Unter der Dusche, durch den nassen Vorhang ihrer langen schwarzen Haare sprechend, sagte Marjorie, das zarte Kind, was sie als Gegenwehr vorführen würde, und macht es vor, indem sie unter dem strömenden Wasser nackt und fröhlich antritt wie ein Tambourmädchen bei der Parade, mit genußvoll hochfahrendem Knie.
     
    – Was das Fernsehen uns verschweigt: sagt sie.
    – Und was würden Sie tun?
    – Ich würde erst einmal Geld verlangen.
    – Das müssen Sie mir erklären!

3. Januar, 1968 Mittwoch
    In der Dunkelheit des frühen Morgen griffen heute feindliche Streitkräfte den Luftwaffenstützpunkt der Vereinigten Staaten bei Danang an mit etwa 30 Salven von Raketen des Kalibers 122 und zertrümmerten einen Kampfbomber vom Typ F 4 Phantom.
    Bei dem elfminütigen Angriff auf den Stützpunkt wurden drei weitere Flugzeuge beschädigt. Sprecher der Streitmächte gaben an, es seien drei Angehörige der Luftwaffe und einer der Marine verwundet worden, und etwa ein Dutzend weiterer Soldaten hätten sich Verletzungen zugezogen, als sie sich in Deckung bringen wollten.
    So weit war es in Jerichow nicht; der Flugplatz war bei weitem nicht fertiggestellt. Vorher wollte Jerichow sich wenigstens einen

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