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Jahrestage 2: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)

Jahrestage 2: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)

Titel: Jahrestage 2: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl (suhrkamp taschenbuch) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Johnson
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sie oder er an manchen Stellen sagen müssen: was ich lediglich tat, um New York reinzuhalten; was immer an der Reihe ist. Sie würde sogar auf Dauer mit ihm leben mögen, in seinem Haus, und doch zu ihren Bedingungen. Ihr kommt es nicht in den Sinn, D. E. zu vergleichen mit den Ehemännern, die bei ihren Freundinnen abends als Väter zu Besuch kommen; für sie ist er ein Freund, einmal der der Mutter, noch deutlicher der ihre. Von ihr hat er den Namen D. E. aus seinen Anfangsbuchstaben, und mag das auch verstanden werden als Dear Erichson, es ist doch nicht der Vorname, dem sie ihre Freundlichkeit erweist, sondern der andere, den jedermann benutzt. - Na, D. E.? sagt sie. - Und wie stehen deine Geschäfte in deinem Geschäft?
    So daß er ihr, vergnügt und geduldig, von den grönländischen Radarzentren der U. S. Air Force erzählt, was man heutzutage in Thule beim Beginnen einer Mahlzeit rituell sagt, mit hartnäckigen Rückfällen in die Geschichte der Goten, die Marie doch nicht immer gleich erkennt, und hat gelauert wie ein Schießhund. Kniet auf ihrem Stuhl, schaukelt auf ihren Ellenbogen und behält ihn im Auge, seine kummerlose Miene, die verspielten Lippenbewegungen, die von Kälte straffe Haut, das vierzigjährig graue Haar, den nüchternen, gefühllosen Blick, den Mecklenburger, der ein Amerikaner geworden ist. Die taten, mit ihrem unbedenklichen Englisch, ihren niedergehaltenen Gelächtern, als wär ihnen wohl.
    Die Hausfrau jedoch steht am Herde und achtet ihrer Pflichten: Man kehrt es in Mehl um, bräunt es in Butter, gießt zu zwei Dritteln langsam siedendes Wasser darauf …
    Nie ist ihm ganz wohl. Sitzt in seinem ausgesuchten Winterzeug aus Dublin auf unseren Stühlen, als wären die nicht vor Jahren bei der Heilsarmee gekauft; und würde uns gern andere hinstellen, ob sie nun nach Thonet oder nach Morris heißen. Immer noch sind wir nicht mitgegangen, zu leben in seinem Haus in New Jersey; nun möchte er wenigstens in unserer Wohnung für uns etwas tun. Er läßt es nicht zu Vorschlägen kommen; wenn er sich ausspricht über den Ruhm eines »Polizeischlosses«, einer in Fußboden und Decke und Tür verankerten Stahlstange, so hat er neuerdings erläutert, daß er unser Schloß und die dünne Vorlegekette nicht für ausreichenden Schutz hält. Ginge es nach ihm, wir sollten der Hausverwaltung einen leckenden Heizkörper abnehmen und erneuern, was nicht noch; es geht nicht nach ihm. Das sind Geschenke, solche kann ich nicht nehmen. Anfangs, im Trinken, kamen ihm solche Voranschläge bei; in späteren Jahren hat Marie ihn aufgezogen mit einer Haushaltung wie der seinen, und sie das Plaza Hotel genannt, nicht ganz boshaft; längst sprechen wir es nicht aus.
    Gediegener brauch ich nicht zu leben, D. E.
    Nur daß ich etwas tun könnte für euch.
    Du tust eben genug, D. E. Und wie meintest du in Wahrheit?
    Nur daß ich euch zeigen könnte …
    Dat glöwn wi so.
    … man tut ein paar alte Brotrinden hinein, einige Wurzeln (Möhren), 1 Zwiebel, 1 Lorbeerblatt und einige Pfefferkörner hinzu und dünstet alles miteinander zweieinhalb Stunden; D. E. jedoch, wie ein Familienvater in bürgerlichen Zeiten, hat das Kind mitgenommen in den schon schwarzen Abend, in den näßlichen Schnee im Riverside Park, sich Appetit anlaufen. Ein Leben in der Ehe, von mir wird Marie es nicht lernen. Eine Ausnahme für ein Fest, einmal, nicht allemal. Wenn wir etwas zu feiern haben.
    – Was haben wir zu feiern?
    – Das Datum, Gesine. Astronomisch zwar nicht befriedigend.
    – Ja. Daß das Jahr vorüber ist. Daß wir es überstanden haben.
    – Mir ging der Oktober zu rasch.
    – Es feiert ja Jeder seins, Marie.
    – O. K. Weil Senator Kennedy in diesem Jahr den Präsidenten überholt hat. Weil er den Krieg in Viet Nam beenden wird.
    – Bugs Bunny? Gegen mehr als die Hälfte Bürger, die den Krieg fortgesetzt wünschen? Bugs Bunny?
    – Senator Robert Francis Kennedy.
    – I stand corrected, Marie Cresspahl.
    – Marie Henriette Cresspahl, at that.
    – Entschuldige, M. H.
    – Die verbrannten Astronauten im Januar. Der abgestürzte Astronaut der Sowjetunion im April.
    – Dein Sommerkleid, das gelbe, mit den Knöpfen aus Schildpatt.
    – Die Aufstände der Neger in mehr als hundert Städten im Sommer; die Streiks bei Ford, in den Schulen von New York.
    – Das Kleid mit dem Kragen, der … heißt es »nackenfern« oder »halsfern«?
    – Ist aber verschenkt.
    – Noch zweihundertunddrei Tage, und ich bin elf Jahre

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