Jahrestage 2: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)
alt.
– Daß wir das zum Feiern haben.
– Daß Niemand anders als die Brüder von der C. I. A. einen Genossen Che Guevaras vorm Tod durch Erschießen bewahrten.
– Daß Guevara leben könnte, hätte er nicht im Verhör einen Offizier der Bolivianer geohrfeigt.
– Und unsere gute alte Tante Times, sie soll leben!
– Nun die New Year’s resolutions. Daß ich bei Sister Magdalena auf Eins bleibe, und sollte das Biest mich keinmal loben! Nun du.
– Daß wir in New York blieben, und könnten hier leben.
– Das ist ein Wunsch, kein Vorsatz, Gesine! Du darfst nur sagen, wozu du was tun kannst.
– Daß ich nicht werde wie meine Mutter.
– Du hast Fieber, Gesine.
– Fieber oder nicht; ich will jetzt hören, wie Professor Erichson sich bessern will im Neuen Jahr.
– Indem ihr mich heiratet im Neuen Jahr.
– Falsch! Wieder ein Wunsch.
– Für mich ist das ein Vorsatz, dear Mary, quite contrary.
– Which I undertook solely to help keep New York City clean.
– Right. Tau de Tid, as dat Wünschn noch helpn ded, dor wier ne Fru, de har süss allns, wier frisch un gesunt …
– So hengt se nu inne Marienkirch in Lübeck un is so lütt as ne Mus und bewegt sick man alle Jår einmal mihr.
– Wünschte das ewige Leben, Marie.
– What a stupid thing to wish!
– Ein Neues Jahr für dich, D. E.
– Godet Niejår, Gesine.
– A happy New Year! A happy new year!
1. Januar, 1968 Montag
Drei Zoll Schnee. 24 Grad Fahrenheit, gegen die Fenster gewischt von einem Wind, der kälter ist.
Bis durch das Frühstück hält Marie es noch aus, läßt sich ablenken von D. E., der ihr weismachen will, sie sei in der New York Times abgebildet. Tatsächlich zeigt ein ausführlich erzählendes Foto zwei Personen, eine kleinere, zumindest die größere D. E. in der Statur ähnlich, beide unter Regenschirmen, die eine Treppe zu Schnee mit Tauflecken und spillerigem Parkgeäst hinuntersteigen. Die Regenschirme muß sie ihm noch bestätigen, an sich als die Kleingewachsene zu seiner Rechten glaubt sie nicht mehr, und nun nützt es ihm nicht mehr, daß er den Daumen über die Unterschrift »Central Park« gehalten hat; ihr war gleich gewiß, daß es eine solche Treppe im Riverside Park nicht gibt, wenngleich sie gestern abend eine ähnliche benutzt haben, auch mit einer Laterne rechts, nie diese.
– Mit New York: sagt sie siegesgewiß, verächtlich: damit legst du mich nicht herein.
Zum Jahreswechsel läßt die Protestantische Kirche der Stadt uns ausrichten, es sei wohl über jeden Zweifel erhaben, daß die Religion 1968 ebenso versagen werde wie 1967. »Da sind so viele Dinge, die sie tun sollte aber nicht tut …«
Dann jedoch will Marie ihr Geschenk an mich loswerden, die Aufmerksamkeit zu Neujahr. Ich kenne es nicht. Mehr als sechs Wochen hat sie ihr Zimmer zu einem Sperrgebiet gemacht, sich nur verraten mit Sägegeräuschen, mit Hämmern, Bohren, wovon sie viel hinter Plattenmusik versteckte. Anfang Dezember sah ich sie aus einer der hunderter Seitenstraßen auf den Broadway kommen, Latten und Bretter mit ausgesägten Löchern unter dem Arm; womöglich ist es ein Geschenk aus Holz. Es werde ein Wunsch sein, von dem ich nichts wisse. D. E., am frühen Morgen und Feiertag schon gekleidet wie für seine Restaurants und Konferenzen, lehnt als behaglicher Zuschauer am Fenster, die Arme verschränkt, und spricht von seinen Zeiten. Zu seinen Zeiten sei bei den Laubsägearbeiten der Kinder gelegentlich eine Korridorampel herausgekommen.
Und nimm dich in acht, Gesine. Sie ist ängstlich.
Wenn Marie ängstlich ist, sollte ich es noch eher sein.
Das Geschenk, unter einem Tuch zwischen den Flügeltüren zu Maries Zimmer aufgestellt, ist so groß wie ein Hund, größer als der Chow-Chow, der unter Dr. Berlings Schreibtisch wohnte. Aber ein weißes Tuch wird auf Totes gelegt, auf Abgetanes, auf was nicht wiederkommt.
– Es ist unser Haus, Marie.
– Es soll nicht dein Haus sein! es ist nur, was ich verstanden habe! sagt sie. Dabei tritt sie unruhig hin und her neben mir, als wollte sie mich von dem Modell abdrängen.
Es ist das Haus, das Albert Papenbrock im Frühjahr 1933 seiner Enkelin überschrieb, damit Heinrich Cresspahl tat, wie Lisbeth wollte, und zurückkam aus England nach Jerichow. Es ist ein gedrungener Bau, verwittert rot unter tief herabgezogenem roten und moosigem Dach, dem die Walme zu beiden Seiten nicht fehlen. Es sind die drei weißgestrichenen Fensterkreuze links der Vordertür,
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